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Klimaangst im Überblick – Hessischer Tag der Nachhaltigkeit 2022

Am 29. September fand der hessenweite Tag der Nachhaltigkeit 2022 unter dem Motto “Nachhaltig. Bunt. Lebenswert. Aktiv Hessen gestalten“ statt. Zu diesem Anlass veranstaltete das Netzwerk HONEDA (Hochschulen für Nachhaltige Entwicklung in Darmstadt) ein spannendes Programm an Mit-Mach-Aktionen, Führungen durch Forschungseinrichtungen und hybriden Workshops, wie beispielsweise “Psychologie der Klimakrise: Klimaangst im Fokus”. Die ein oder anderen Klima-Interessierten kennen den Begriff “Klimaangst” oder “climate anxiety” vielleicht und wissen schon, was sich dahinter verbirgt. Falls nicht, gibt es hier für euch den Nachbericht.

Global und national: Die Jugend hat Klimaangst

Von 14:00 bis 16:00 Uhr gaben Christina Barz, Studentische Mitarbeiterin im Projekt Systeminnovation für Nachhaltige Entwicklung (s:ne), und Prof. Dr. Daniel Hanß, Professor für Umweltpsychologie und Nachhaltigkeit an der Hochschule Darmstadt (h_da), Antworten auf Fragen wie: 

  • Was verstehen wir unter Klimaangst? 
  • Ist das eine Krankheit? 
  • Und wie können wir damit umgehen? 

Gestartet wurde mit dem Video “Klimakrise – Zeit zu kapitulieren?” des Kanals Terra X Lesch & Co., in welchem Harald Lesch, Astrophysiker, Naturphilosoph und Wissenschaftsjournalist, erklärt, wieso wir “Klimaangst” haben. Laut Lesch entsteht “Klimaangst” durch die Angst vor dem Klimawandel und dessen Folgen. Vor allem bei der Jugend hinterlasse die mediale Konfrontation mit Flutkatastrophen, Hitzewellen, Waldbränden, Dürren und immer weiter schmelzendem Gletschereis ihre Spuren.

Einer 2021 durchgeführte, globalen Studie mit 10.000 befragten Kindern und Jugendlichen zwischen 16 bis 25 Jahren kam zu dem Ergebnis, dass etwa jede*r Achte Angst vor der eigenen Zukunft hat (Hickman et al., 2021, Abb.1). Andere Studien , die Klimaangst anders messen, deuten an, dass “Klimaangst” in der allgemeinen Bevölkerung in Deutschland deutlich geringer ausgeprägt ist. So beispielsweise die 2021 durchgeführte Studie von Wullenkord et al. (Abb. 2). Die Ergebnisse der Studien hängen laut Prof. Dr. Hanß stark davon ab, wie Klimaangst verstanden wird, misst und möglicherweise auch welchen Teil der Bevölkerung betrachtet wird.

Abbildung 1, Quelle: Prof. Dr. Daniel Hanß
Abbildung 2, Quelle: Prof. Dr. Daniel Hanß

Eine anschließende Befragung der Workshop-Teilnehmer*innen zeichnete ein ähnliches Stimmungsbild: 54 Prozent der Teilnehmenden fühlten sich wegen des Klimawandels mittelmäßig bis ziemlich angespannt. 

Klimaangst: Störung oder doch normal?

Draufhin ging es weiter mit dem Begriff der “Angst”. Prof. Dr. Hanß erklärte hierzu, dass Angst aus psychologischer Sicht unterschiedliche Ebenen besitze. Zum einen gäbe es sie als einen emotionalen Zustand, ausgelöst durch plötzliche Gefahren,  oder über einen längeren Zeitraum langsam aufbauend, erkennbar durch Unruhe, Besorgtheit und Furcht vor zukünftigen Ereignissen. Sie könne auch Teil der eigenen Persönlichkeit sein. Oder sie trete in Form einer Angststörung auf, welche sich durch eine starke Beeinträchtigung des Alltags und der Lebensqualität bemerkbar macht. Kurz gesagt:

  • Auf kognitiver Ebene zeige sich Klimaangst als Sorge um die eigene Existenz und um die sich verändernde Welt
  • Auf emotionaler Ebene zeige sich Klimaangst als Furcht vor den konkreten Folgen der Klimakrise

Anschließend ging Prof. Dr. Hanß auf die in der wissenschaftlichen Forschung laufende Debatte ein, ob sich Klimaangst pathologisch und eher paralysierend, also aus psychologischer Sicht negativ auswirkt, oder sie sich doch positiv aktivierend auswirkt. Aus Forschungssicht sei die Klimaangst ein relativ junges Forschungsgebiet. Hier setzten sich bisher zwei unterschiedliche Forschungsansätze durch. Es könne gefragt werden, welche negativen Emotionen der Klimawandel und seine Folgen auslöst. Aber auch, welche kognitiv-emotionalen und funktionalen Beeinträchtigungen auf direkte Erfahrungen mit dem Klimawandel erlebt werden.

Laut Prof. Dr. Hanß sind die Ergebnisse der Studien zur Verbreitung in der Gesellschaft stark vom jeweiligen Messansatz und den Studienteilnehmer*innen abhängig. Ein klares Ergebnis gäbe es noch nicht. Einige Studien sollen zeigen, dass Menschen, bei welchen Klimaangst stärker ausgeprägt ist, mehr unter depressiven Verstimmungen und generellen Angststörungen leiden. Dementsprechend also eine schlechtere mentale Gesundheit besäßen. Zum anderen gäbe es aber auch Studien mit dem Ergebnis, dass sich Menschen mit stärkerer Klimaangst mehr im Klima- und Umweltschutz engagieren, also aktivistisch handeln. Die Frage an die Workshop-Teilnehmenden, ob Klimaangst eine psychische Erkrankung wäre, zeigte dagegen ein klares Ergebnis: Alle Teilnehmenden der Umfrage antworteten einstimmig mit “nein”.

Abbildung 3, Quelle: Prof. Dr. Daniel Hanß

Klimaangst in den Medien: lähmend oder aktivierend?

Als nächstes stellte Christina Barz die Frage in die Runde, wie Klimaangst in den Medien dargestellt wird, ob eher pathologisch oder positiv aktivierend. Hier sprachen die Teilnehmenden von unterschiedlichen Erfahrungen, also von einer medialen Darstellung, welche Klimaangst als pathologisch sowie aktivierend beschrieb. 

Abbildung 4, Quelle: Prof. Dr. Daniel Hanß

“Without anxiety, little would be accomplished”

Im Anschluss ging es gezielt um die positiven Auswirkungen der Klimaangst. Laut Barz kann Angst helfen, Probleme zu erkennen und Motivation zur Bekämpfung des Problems zu finden. Zudem könne die Angst durch konstruktives Handeln, in diesem Fall Demonstrieren oder bewusst umweltfreundliches Verhalten, gemindert werden. Man spräche hier von einer “praktischen Angst”. Dennoch solle einem bewusst sein, dass durch Engagement die mit negativen Emotionen verbundene Angst nicht komplett verschwinde. Diese Angst sei aber normal und menschlich.

Wie mit Klimaangst umgehen?

Nachdem die verschiedenen Auswirkungen der Klimaangst besprochen wurden, stand die Bewältigung der Angst, also das sogenannte “Coping”, auf dem Programmplan. Zu Beginn erklärte Christina Barz, was coping genau ist:

“Coping bedeutet, dass wir als Menschen entweder kognitive oder verhaltensbezogene Anstrengungen durchführen, um bestimmten Problemen entgegenzuwirken, wie diese beispielsweise zu vermindern. Diese Anforderungen oder Probleme können intern sowie extern sein und nehmen entweder die Fähigkeiten einer Person in Anspruch oder übersteigen diese sogar. Durch unsere Anstrengungen versuchen wir, diesen Anforderungen gerecht zu werden, diese also zu meistern, zu tolerieren, zu mildern oder zu vermeiden.”

Laut der Forschung gibt es verschiedene Formen des Coping. Diese wären:

  • Problemorientiertes Coping: sich mit dem Problem auseinandersetzen, das Problem also zu reduzieren oder zu bewältigen.
  • Emotionalisiertes Coping: Strategien, um negative Gefühle zu lindern oder loszuwerden. Im Fall Klimaangst zum Beispiel diese Angst zu lindern, indem wir den Klimawandel ignorieren oder leugnen, oder positive Ablenkungen, wie beispielsweise Sport, andere Aktivitäten oder bewusste Auszeiten. 
  • Sinn-/Bedeutungsorientiertes Coping: kognitive Neubewertung der Situation, zum Beispiel den negativen Blick auf das Problem zu durchbrechen, indem Fortschritte, die Möglichkeit selbst zu Handeln oder ein Wir-Gefühl wieder in den Sinn gerufen werden.

Laut Barz kann sinnorientiertes Coping durch Hoffnung das allgemeine Wohlbefinden wieder steigern. Diese Hoffnung sei auch in der Forschung bereits gut thematisiert. Hoffnung könne auf problemorientierten und auf sinnorientiertem Coping basieren. Im sinnorientiernen Coping zeige sie sich durch Vertrauen in andere Personen, während im problemorientierten Coping Hoffnung durch Vertrauen in das eigene Selbst entstünde. Aus Forschungssicht gäbe es einen Zusammenhang zwischen Klimaangst und Hoffnung, welcher dann in Klimaengagement münden könne. Hoffnung alleine führe aber nicht zu Klima-Engagement. Es sei die Interaktion mit der Angst nötig, um das eigene Handeln anzukurbeln. Das Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit oder die Wirksamkeit anderer, sowie Motivation und Überzeugung, sei für positives Coping wichtig. Deshalb wird Hoffnung in der Forschung häufig als eine Kombination aus Motivation und Überzeugung definiert, welche in enger Verbindung zur Wirksamkeit stehe. 

Selbstwirksamkeit: Vertrauen statt Angst

Prof. Dr. Daniel Hanß erklärte danach noch, was Selbstwirksamkeit und Wirksamkeitserwartungen eigentlich sind. Letzten Endes beziehe sich Wirksamkeit einfach auf die Frage: “Was glaube ich, was ich selbst oder andere erreichen können?”. Diese Wirksamkeitserwartungen teilen sich laut Prof. Dr. Hanß in Akteur- oder Objektdimensionen auf:

  • Akteur: Individuelle Selbstwirksamkeit (Ich kann…) und kollektive Selbstwirksamkeit (Wir können…)
  • Objekt: Bezogen auf Handlungsausführung, zum Beispiel im Alltag Müll trennen oder zielorientiert, zum Beispiel, einen wichtigen Beitrag zur langfristigen CO2-Reduzierung leisten.

Aktuell sei bekannt, dass Selbstwirksamkeit ein guter Prädiktor für umweltschützendes Handeln im Alltag und aktivistisches Engagement sei. Es handle sich aber vor allem um Ergebnisse korrelativer Studien, also um das Wissen, dass eine Beziehung zwischen der Wirksamkeit und dem Engagement besteht, nicht aber um das Wissen der genauen Zusammenhänge. Erste Studien deuten zudem einen positiven Zusammenhang zwischen Klimaangst und Selbstwirksamkeit an. Das bedeutete, dass Menschen, welche sich stärker durch den Klimawandel bedroht fühlen, sich selbst als wirksamer empfinden. Aus diesen Erkenntnissen könne die Hypothese abgeleitet werden, Klimaangst motiviere Menschen, sich auf den Klimaschutz bezogen wirksamer zu empfinden und sich deshalb stärker für den Klimaschutz zu engagieren. Aber auch hier handelt es sich um korrelative Ergebnisse.

Abbildung 5, Quelle: Prof. Dr. Daniel Hanß
Abbildung 6, Quelle: Prof. Dr. Daniel Hanß

Zum Abschluss des Workshops führte Christina Barz an, dass die meistgenutzte Bewältigungsstrategie einer australischen Studie (Gunasiri et al., 2022) der Kontakt mit der Natur gewesen sei. Und auch die psychische Forschung habe bestätigt, dass der natürlichen Umwelt eine stressreduzierende und erholungsfördernde Wirkung zugeschrieben werden kann.

Der Umgang mit Klimaangst kann auf verschiedenen Ebenen geschehen, so Barz. Auf der individuellen Ebene sei es möglich, die Angst durch Klimaresilienz, wie beispielsweise eine emotionale Selbstregulierung, in den Griff zu bekommen. Dies sei auch durch das Anwenden eigener Fähigkeiten möglich, wie Empathie, Kreativität, Konfliktlösung oder Fähigkeiten zur Zusammenarbeit mit anderen. Auf Gruppenebene könne selbstwirksames Handeln angewandt werden, wie zuvor bereits erwähnt, durch Engagement im Aktivismus. Das gemeinschaftliche Handeln bilde außerdem ein Wir-Gefühl. Zudem könne der Austausch mit Gleichgesinnten über die Sorgen zur Klimakrise gut tun. Auf der gesellschaftlichen Ebene wäre es möglich, die Beteiligungsmöglichkeiten zu fördern, beispielsweise in der Klimapolitik. So könne ebenfalls die Selbstwirksamkeit gestärkt und Hoffnung vermittelt werden.

Hilfe, Informationen und Beteiligungsangebote

Beeinträchtigt deine Klimaangst deinen Alltag? Oder fühlst du dich von negativen Emotionen überwältigt? Dann sprich dich bei der Telefonseelsorge aus: 

  • 0800 111 0 111 oder 
  • 0800 111 0 222

Weitere Informationen zur Klimaangst gibt es auf der Website der Psychologists for Future. Wer sich selbst für das Klima und die Umwelt engagieren möchte, kann in Darmstadt unter anderem Mitglied des Bürgerpanel-Teams der h_da werden. Daneben gibt es auch noch die Möglichkeit, sich aktivistisch bei HONEDA zu engagieren.

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