Die Textilbranche hat ein gewaltiges Umweltproblem – nicht erst seit „Fast Fashion“ den globalen Markt mit billigen und schadstoffhaltigen Klamotten überschwemmt. Im Auftrag einer deutschen Outdoor-Marke haben Studierende des Master-Studiengangs „Risk Assessment and Sustainability Management“ einen genauen Blick auf die Wertschöpfungskette geworfen. Ergebnis des über zwei Semester laufenden Projekts sind unter anderem konkrete Handlungsanleitungen für Designerinnen und Designer von Kleidung. VAUDE hat diese bereits in die hauseigenen Nachhaltigkeits-Anforderungen übernommen.
80 Prozent der Klamotten weltweit, also rund 50 Millionen Tonnen, werden weggeworfen – jedes Jahr. Der größte Teil davon wird verbrannt oder landet auf der Deponie. So verwundert es nicht, dass auch die Europäische Union die Textilindustrie als eine „High impact“-Industrie einstuft, die für besonders viele natürliche Ressourcen benötigt und daher auch für CO2-Emissionen verantwortlich ist. Problematisch sind auch viele Chemikalien; etwa, weil sie giftig sind oder sich dauerhaft in der Umwelt anreichern können.
Doch es gibt auch einige Unternehmen in der Branche, die Nachhaltigkeit zu ihrem Markenkern gemacht haben. Eines davon ist der Outdoor-Spezialist VAUDE. Zu dem Familienunternehmen aus dem Bodenseekreis wiederum hat h_da-Professor Martin Führ schon seit Längerem gute Beziehungen. Der Jurist ist gern in den Bergen unterwegs und verfolgt die Nachhaltigkeits-Aktivitäten von VAUDE deshalb schon seit geraumer Zeit. Als Führ dann als Leiter des 2015 gestarteten Master-Studiengangs „Risk Assessment and Sustainability Management“ (RASUM) nach einem Praxispartner suchte, musste er nicht lange nachdenken, bevor er zum Hörer griff. Wenig später legten die ersten Studierenden des Risiko- und Nachhaltigkeits-Studiengangs ein Konzept zur Optimierung der globalen Lieferwege des Unternehmens vor.
Im Jahr 2019 kam man erneut zu einem neuen Praxisprojekt zusammen: VAUDE formulierte eine neue Ausschreibung. Per Los bestimmte RASUM-Teams waren wieder gefordert, professionelle Angebote zu erarbeiten. Die besten Ideen kombinierte das Unternehmen zu einem „Auftrag“ an die Gesamtgruppe: „Zuerst ging um eine Analyse des normativen Rahmens“, sagt Jana Krachler, die ihren Master mittlerweile in der Tasche hat und im Berufsleben steht. Krachler und ihre Mitstreiterinnen und Mistreiter steckten ihre Köpfe zusammen und durchforsteten Richtlinien, Gesetze und Verordnungen – auf Ebene der Vereinten Nationen, der EU sowie einzelner Staaten wie Deutschland oder skandinavischer Länder. Am Ende war klar: Es ist davon auszugehen, dass die Regulierung die Unternehmen zwingt, zu einer Kreislaufwirtschaft beizutragen – sprich, natürliche Ressourcen zu schonen, indem man bestehende Materialien und Produkte so lange wie möglich nutzt, repariert, aufarbeitet und am Ende schließlich recycelt.
Dabei könnten auch neue Technologien weiterhelfen – so etwa zur Kommunikation und zur Kennzeichnung. „Hier gibt es zum Beispiel reiskorngroße RFID-Chips, die man in die Kleidung einarbeitet oder unsichtbare Barcodes“, sagt Krachler. Diese gäben dann jedem Akteur in der Wertschöpfungskette die Informationen, die er brauche. Etwa kann man auslesen werden, welche Materialien wo in dem Kleidungsstück zu finden sind. Gerade im Outdoor-Bereich gebe es eine große Vielfalt, sagt Krachler: „Es gibt viele verschiedene Materialien und oft auch mehrere miteinander verklebte Schichten.“ Das sorgt zwar für eine gewisse Wasserdichtigkeit, erschwert aber Reparatur und Recycling.
Im Rahmen des Auftrags tauchten die Krachler und das RASUM-Team tief in die Welt der am häufigsten verwendeten textilen Materialien ein mit dem Ziel, ein Analyse-Tool für den Design-Prozess zu entwickeln. Dieses „Circulitics-Tool“ unterstützt diejenigen, die bei VAUDE Produkte entwickeln: „Sie tragen in Frage kommende Materialien ein und das Tool bewertet diese mit einem Ampel-System“, sagt Ksenia Grubets, die ebenfalls zum RASUM-Team gehörte und nach ihrem Abschluss als Beraterin im Bereich Nachhaltigkeit arbeitet. Am Ende steht dann eine Gesamtpunktzahl – und damit ein Impuls, Produkte langlebig und recyclingfähig zu gestalten.
Doch um Materialien zu recyceln, müssen sie erst einmal gesammelt werden. Nach den EU-Vorgaben ist ab 2025 vorgeschrieben, alle Textilien getrennt zu sammeln, sagt Grubets: „Was dann aber passiert, ist noch offen. Deshalb brauchen wir Technologien zur Nachverfolgung, um zu wissen, aus welchen Materialien das Kleidungsstück wie zusammengesetzt ist und wie man es am besten weiterverwenden oder recyceln kann.“ Neben Information ist deshalb Vernetzung essentiell. Deshalb analysierte das Projekt-Team potenzielle Partner-Unternehmen, mit denen VAUDE perspektivisch zusammenarbeiten könnte – und lieferte ein Konzept für eine „interaktive Informations- und Austauschplattform“. Über diese Plattform könnten sich Unternehmen der Outdoor-Branche untereinander und mit Zertifizierungs-Akteuren vernetzen, um gemeinsam am Ziel der ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft zu arbeiten.
Der Lohn für die Mühen der Studierenden stand nach einer Abschlusspräsentation im Unternehmen fest: VAUDE hat die erarbeiteten Kriterien für sein hauseigenes Eco-Label „Green Shape“ übernommen – die dort festgelegten Qualitätskriterien müssen zukünftg alle Produkte erfüllen. „Wir konnten mit den Nachhaltigkeits-Spezialisten dort auf Augenhöhe sprechen, das war ein tolles Erfolgserlebnis“, erinnert sich Jana Krachler – die wie die anderen im RASUM-Team bisher keine Berührungspunkte mit der Textilbranche hatte.
Doch im Ganzen betrachtet bleibt eine Menge zu tun, mahnt Martin Führ: „Die Technologie für hochwertiges stoffliches Recycling gibt es noch gar nicht. Deshalb ist die Herausforderung, Produkte zu designen für Recycling-Technologien, die erst in der Entwicklung sind.“ Viele Aufgaben nicht nur für die Industrie also – aber der Professor sieht auch neue Geschäftsmodelle, die vermehrt auf eine längere Lebensdauer der Produkte gerichtet sind. „Für VAUDE zum Beispiel ist Nachhaltigkeit auch ein Image-Faktor, ein Alleinstellungsmerkmal.“ Die Europäische Union verschärft ohnehin Schritt für Schritt die Regeln: Der „Green Deal“ widmet Textilien besondere Aufmerksamkeit. Perspektiv ist nicht nur mit zunehmend anspruchsvolleren Recycling-Quoten zu rechnen, sondern auch mit Vorgaben für einen „Digitalen Produktpass“. Das RASUM-Projekt hat also den Weg in die Zukunft bereits vorgezeichnet.
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