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Das Klima-Puzzle: Ein Beispiel für BNE in der Praxis

Quelle: Hochschule Darmstadt

Ich bin Gabriel, ich studiere Onlinejournalismus im 3. Semester und schreibe aktuell für den Nachhaltigkeitsblog der Hochschule Darmstadt (h_da). Ich bin im Thema Nachhaltige Entwicklung noch nicht lange unterwegs und freue mich darüber, im Rahmen meiner Arbeit für den Blog in verschiedenste Themenfeder einzusteigen und sie hier zu beleuchten. Heute möchte ich gerne über eine Lehrmethode aus dem Themenfeld „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ berichten, bei der ich hautnah dabei sein durfte.

Das Klima-Puzzle im Überblick

Das Klima-Puzzle ist eine Initiative von HONEDA (Hochschulen für Nachhaltige Entwicklung in Darmstadt), um das Bewusstsein für den Klimawandel zu fördern. Als Teil dieses Netzwerks bietet die Hochschule Darmstadt – konkret durch das Green Office – diesen interaktiven Workshop an, in dem Zusammenhänge des Klimawandels spielerisch und wissenschaftlich fundiert erarbeitet werden. Das Projekt richtet sich grundsätzlich an alle Hochschulangehörige. Aktuell wird es aus Kapazitätsgründen verstärkt in Lehrveranstaltungen angeboten.

Die Inhalte basieren auf dem aktuellen Bericht des Weltklimarats (IPCC) mit Fokus auf Ursachen, Funktionsweisen und Anpassungsstrategien klimatischer Prozesse. Hinter dem Spiel steckt das Engagement der französischen NGO Climate Fresk, die seit 2018 daran arbeitet, Menschen weltweit für den Klimawandel zu sensibilisieren. 

Das Klima-Puzzle ist ein Beispiel für eine Methode des Konzepts Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE), indem es komplexe Zusammenhänge des Klimawandels spielerisch und kollaborativ vermittelt. Die Teilnehmenden setzen sich aktiv mit Ursachen und Wirkungen auseinander, wodurch Kompetenzen wie kritisches Denken und systemisches Verständnis gefördert werden. Durch den Austausch in der Gruppe werden zudem soziale Kompetenzen und gemeinschaftliches Handeln gestärkt. So ermöglicht das Klima-Puzzle nachhaltiges Lernen, das Wissen, Werte und Handlungsfähigkeit verbindet.

Und es geht um mehr als nur die spielerische Beschäftigung mit dem Thema: Der Workshop ist auch eine Möglichkeit für die Studierenden, sich untereinander auszutauschen. Gerade als Erstsemester kennen sie sich noch kaum – das Spiel erleichtert die Sozialisierung auf edukative Weise. Prof. Dr. Karsten Wilke ergänzt:

„Im Rahmen des Spiels haben Erstsemester mit Leuten gesprochen, die sie zuvor allenfalls vom Sehen her kannten, und sich kennen gelernt, was in der „Post-Corona-Zeit“ wichtig ist. Auch eine zwanglose inhaltliche Beschäftigung mit dem Thema Klimawandel hat meiner Beobachtung nach die Motivation gesteigert, im Studium einige im Workshop beleuchtete Aspekte näher zu betrachten.“

Aber wie lief das Klima Puzzle genau ab?

Am Morgen des 17. Oktober habe ich eine andere Welt betreten. In dem Gebäude B 13 der Hochschule war ich noch nie zuvor: Als Onlinejournalismus-Student kenne ich mich nur auf dem Mediencampus Dieburg aus, Darmstadt fühlt sich für mich immer noch fremd an. Nicht nur aus Orientierungsgründen fühlte ich mich ein bisschen verloren, sondern auch wegen der fehlenden Bezugspunkte zum Workshop, in den ich in wenigen Minuten einsteigen würde. Um 8:30 Uhr begann das Klima-Puzzle mit aktiver Teilnahme der Erstsemester-Studierenden des Fachbereichs Bau- und Umweltingenieurwesen, liebevoll auch „Erstis“ genannt.

Als ich den Hörsaal 11 im ersten Stock der Wasserbauhalle betrat, war ich schon etwas nervös. Anders als bei uns in Dieburg waren die Seminarräume hier voll mit Studierenden – vielleicht, weil die Medienstudiengänge ein bisschen kleiner sind als die technischen. Ich hatte noch nie an einer so großen Lehrveranstaltung teilgenommen. Kaum war ich drin, begann schon die Einführung von Prof. Dr. Wilke. Zuerst wurde die Aufgabenstellung zur veranstaltungsbegleitenden Hausarbeit vorgestellt: Eine Abgabe, die die Studierenden bis zur kommenden Woche erledigen müssen. Im Anschluss stellte sich das Green Office Team vor und erklärte den Ablauf des Workshops.

Ich bin kein Student des Fachbereichs Bau- und Umweltingenieurwesen. Trotzdem habe ich die Möglichkeit genutzt, das Projekt zu besuchen, und zwar als außenstehender Beobachter. Natürlich hätte ich auch aktiv teilnehmen können, aber ich hatte das Gefühl, ich könnte besser über die Erfahrung berichten, wenn ich eine gewisse Distanz wahre. Also blieb ich in der Beobachterrolle – und lade Sie, liebe Leser*innen, ein, mich bei meinen Eindrücken über die Veranstaltung zu begleiten.

Nach einem kurzen Einstieg mit Fragen zur Nachhaltigkeit im Alltag wurden die Studierenden in Gruppen mit jeweils sieben Mitgliedern aufgeteilt. Für jede Gruppe war ein*e Mitarbeiter*in des Green Offices zuständig, der oder die durch den Workshop führte. Außerhalb des Hörsaals standen große Tische mit Kartons, auf denen die Karten des Spiels platziert wurden.

Ohne bestimmten Grund habe ich mich der Gruppe 2 angeschlossen. Die Moderator*in dieser Gruppe kam mir bekannt vor: Sonja Kleinod, verantwortlich für das Kompetenzzentrum Nachhaltige Entwicklung der Hochschule.

Der Wokshop beginnt

Sonja Kleinod legte die ersten sieben Puzzle-Karten auf den Tisch: Nutzung fossiler Brennstoffe, menschliche Aktivität, Temperaturanstieg, Schmelzen von Meereis, Anstieg des Meeresspiegels, CO2-Emissionen und zusätzlicher Treibhauseffekt. Auf der Vorderseite der Karten stand der Titel, auf der Rückseite waren Erklärungen oder Fun Facts zu finden. Die Studierenden wurden dazu aufgefordert, Ursache-Wirkung-Beziehungen zwischen den Karten herzustellen.

Doch es geht um mehr als nur das Zusammenfügen von Karten: Das Spiel fördert den Austausch zwischen den Studierenden und das gemeinsame Nachdenken über komplexe Zusammenhänge. Ziel ist es, die Karten in eine sinnvolle Ursache-Wirkung-Reihenfolge zu bringen. Es gibt keine „richtige Lösung“, sondern unterschiedliche Herangehensweisen, die Prozesse in Zusammenhang miteinander zu betrachten. Jede Gruppe erstellt somit eine eigene Version des Puzzles.

Im nächsten Schritt erhielten die Studierenden neun weitere Karten – diesmal in die Hand, nicht auf den Tisch. Jede*r stellte eine Karte vor und las die Infos auf der Rückseite laut vor. Das Prinzip galt weiterhin: Die Karten nach Ursache und Wirkung zu organisieren. Mit den neuen Karten kamen neue Prozesse und Akteure ins Spiel, die auch mit den ersten sieben Karten kombiniert werden mussten. Begriffe wie Entwaldung, Transport oder Versauerung der Ozeane erweiterten das Spiel deutlich.

Im weiteren Verlauf kamen insgesamt noch 26 Karten ins Spiel. Die Studierenden durften ab dem dritten Kartenset Pfeile auf Papier kleben und später auch auf den Karton zeichnen, um die Zusammenhänge sichtbar zu machen. Durch die zunehmende Komplexität wurde das Denken in Systemen gefördert. Ähnlich wie bei einer Mindmap wurde das Spiel strukturiert: Von dem Hauptthema gehen mehrere Verbindungen zu anderen Themen ab, von denen wiederum weitere Verbindungen abgehen.

Dabei stellte ich fest, wie schwer es den Studierenden fiel, das große Ganze zu erkennen. Zu viele Verbindungen, zu viele Faktoren. Die Pfeile, die eigentlich helfen sollten, verwirrten teilweise sogar. Doch gerade das empfand ich als realitätsnah: Die Klimakrise ist komplex und auch politische Maßnahmen oder internationale Verhandlungen scheitern oft daran, dass das große Bild nicht klar genug ist. Lösungen zu formulieren ist nicht nur für Studierende schwierig, sondern auch für Institutionen und Gesellschaften.

Kreativität: Eigenes Puzzle für jede Gruppe

Nach einer kurzen Pause um 11 Uhr begann die kreative Phase. Die Gruppen sollten ihre Karten in Themenblöcke gliedern, Namen für die Blöcke finden und eine Lieblingskarte auswählen – eine Karte, die sie besonders berührt hat. Viele entschieden sich für Karten zu Naturkatastrophen. Besonders bewegend fand ich jedoch die Karten aus dem Themenblock „Auswirkungen auf den Menschen“. Die klare Sprache und bildliche Darstellung dieser sozialen Folgen, wie die Karten Hungersnöte, Völkerwanderungen und bewaffnete Konflikte,  waren für mich schockierend: Wir sind sowohl die Verursacher als auch die Leidtragenden der Klimakatastrophe. Die Lebewesen des Planeten leiden aber mit, ohne selbst Schuld zu tragen.

Als letzte Aufgabe sollte sich jede Gruppe einen Titel oder Slogan für ihr Puzzle überlegen. Viele Ideen wurden gesammelt, oft mit Bezug zu Kapitalismus oder Generationengerechtigkeit. Schließlich entschied sich meine Gruppe für einen Titel mit ironischem Unterton: „OOPS… Wir haben die Klimakatastrophe jahrzehntelang ignoriert und jetzt kommt das vermeintliche OOPS-Moment“. Sonja Kleinod war überrascht:

„Diesen Titel hatte ich noch nie.“

In früheren Runden des Spiels sei der Titel oft sachlich gewesen, wie „Der menschliche Ursprung des Klimawandels“. Das sei das erste Mal, dass Sarkasmus den Titel begleitet und eine provokative Effekte auf die Leser*innen verursacht habe. Die Überraschung der Moderatorin habe ich auch mitgefühlt: Ich fand den Titel mega.

Ergebnisse der Gruppe 2 beim Klima Puzzle

Diskussion: Gefühle annehmen, aktiv agieren

In der letzten Phase trafen sich immer zwei Gruppen zu einer gemeinsamen Reflexionsrunde im Stuhlkreis. Die Moderator*innen forderten die Studierenden auf, ihre Eindrücke, Gedanken und Gefühle zu teilen. Viele beschrieben gemischte Emotionen: Einerseits freuten sie sich über den umfassenden Überblick, andererseits fühlten sie sich machtlos – als könnten sie persönlich nichts gegen die großen Dimensionen der Klimakrise ausrichten. Zukunftsängste und Hoffnungslosigkeit kamen auf.

Die Moderator*innen reagierten mit der Kübler-Ross-Kurve, einem Modell, das emotionale Reaktionen von Menschen in Krisen bzw. in der Trauer beschreibt. Von Schock über Widerstand bis hin zur Akzeptanz: Das Modell wurde anschaulich anhand eines Phasen-Diagramms erklärt. Die Studierenden wurden eingeladen, einzuordnen, wo sie selbst gerade stehen. „Erkennen ist der erste Schritt“, hieß es.

Zum Abschluss bekamen die Studierenden ein Blatt, mit dem sie konkrete Handlungsmöglichkeiten entwickeln sollten. Mich erinnerte das sofort an mein Studium: Im Onlinejournalismus sprechen wir oft über konstruktiven Journalismus, der nicht nur Probleme, sondern auch Lösungen in den Fokus rückt. In Zeiten von Kriegen, politischen Unsicherheiten und wirtschaftlichen Krisen brauchen wir Hoffnung – und auch in der Klimaberichterstattung ist das entscheidend. Das Klima-Puzzle ist ein perfektes Beispiel für einen lösungsorientierten Ansatz.

Im Backstage-Bereich habe ich mich noch kurz mit anderen Moderator*innen unterhalten. Sie erzählten, dass sie nicht alles an Wissen weitergeben konnten – ihre Rolle bestand mehr darin, die Studierenden anzuleiten als zu unterrichten.

Abschlussphase: Persönlicher Rückblick auf das Puzzle

Kurz vor 12 Uhr kamen alle wieder im Hörsaal zusammen. In der Feedbackrunde bedankte sich das Green Office beim Dozenten Prof. Dr. Wilke dafür, das Klima-Puzzle in seine Lehrveranstaltung integriert zu haben. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass sich interessierte Studierende zum*zur Moderator*in ausbilden lassen können. Ziel ist es, das Puzzle weiter zu verbreiten, denn: „Kleine Aktionen bewegen.“

Was mich am meisten beeindruckt hat, war diese spielerische Auseinandersetzung mit dem Thema Klimawandel. Das Puzzle ist vielmehr eine wissenschaftliche Fundierung: Es ist ein kollektives Erlebnis, Austausch und Lernen. Selbst wenn ich nicht aktiv mitgespielt habe, habe ich trotzdem die Wirkung des Lernspiels gespürt. In einer Welt voller Krisen kann genau so ein Format den Unterschied machen, weil man durch gemeinsames Denken, Fühlen und Handeln lernt. Das Spiel hat für mich vorweggenommen, was im Klimawandel entscheidend ist: Zusammenhänge erkennen und gemeinsam handeln.

Interesse am Klima Puzzle geweckt? Wenden Sie sich gerne an greenoffice@h-da.de!

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