Jan Cornelius Schmidt ist ein Kind der Umweltbewegung. Früher half er Kröten über die Straße, heute ist er Physiker und Philosoph. An der Hochschule Darmstadt will er moderne Technik mit Nachhaltigkeit verbinden. Im Interview spricht er über die Kraft der Philosophie, leuchtende Mäuse und grundlegende Fragen der Gerechtigkeit.
Herr Schmidt, Sie sind promovierter Physiker und habilitierter Philosoph. Das ist keine gewöhnliche Kombination. Welches dieser Felder bewegt mehr in unserer Gesellschaft?
Wenn man darüber nachdenkt, was diese Welt antreibt, landet man schnell bei Naturwissenschaft und Technik. Daher kommt ökonomisch verwertbare Innovation, die wir nicht missen wollen – aber auch Natur- und Weltbilder, die unsere Gesellschaft prägen. Ein Philosoph würde zu Recht weitergehen und auf die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung der letzten Jahrhunderte hinweisen. Die großen Ideen der Philosophie haben Wege gewiesen: zur Demokratie, zur Aufklärung, zur sozialen Absicherung, zur Gerechtigkeit, auch zur Weltdeutung und, ja, wenn man so will, zur Sinngebung. Wenn es darum geht, visionäre Ideen zu entwickeln, die Menschen begeistern und antreiben können, dann ist die Philosophie ein wichtiger Motor.
Wie verbinden Sie in Ihrer Arbeit Philosophie und Physik?
Eines meiner Fachgebiete ist die Technikfolgenabschätzung. Hier geht es darum, neue Technologien einzuschätzen und herauszufinden, wie sie sich auf die Gesellschaft auswirken. Da kommt es mir natürlich entgegen, dass ich eine naturwissenschaftliche Ausbildung genossen habe.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Ich habe in den letzten Jahren zur Nanotechnologie und zur Synthetischen Biologie gearbeitet. Neu in der Biotechnologie ist das so genannte Gene Editing: Vor wenigen Jahren haben Forscher die so genannte Crispr/Cas-Methode entwickelt, die ganz gezielte Veränderung von Gensequenzen ermöglicht. Mit dieser Technik können in Tierversuchen bestimmte Eigenschaften produziert werden. Fluoreszierende Mäuse wären ein Beispiel. Weitreichender ist aber noch die Frage, ob man mit dieser Methode nicht gar Malaria ausrotten kann – und was dies für Natur und Mensch bedeuten könnte. Hiermit sind derzeit unüberschaubare Folgewirkungen – positive wie negative – möglich.
An welcher Stelle kommt da die Technikfolgenabschätzung ins Spiel?
Bevor solche Methoden weiterentwickelt und beim Menschen angewandt werden, sollten zunächst mögliche Folgen erforscht werden. Es gibt große Hoffnungen, wie beim Beispiel Malaria angedeutet, dass das Gene Editing zukünftig Krankheiten reduzieren kann. Allerdings wäre auch denkbar, dass Eltern die Eigenschaften ihrer Kinder selektieren. Hier ist zu fragen: Welche Chancen und Risiken gibt es für unsere Gesellschaft? Auf welche Technologien sollten wir setzen und auf welche nicht? Welche Gesetze brauchen wir zur Regulierung? Das ist eine der vielen Schnittstellen zwischen Naturwissenschaften und Philosophie.
Wo sehen Sie Ihre Aufgabe in diesem Prozess?
Durch meine Arbeit hier an der h_da helfe ich mit, nachhaltige Technologien sowie Bildung für Nachhaltigkeit voranzutreiben. Ein zentrales Ziel meiner Arbeiten ist es, zu einem nachhaltigeren, ethisch reflektierten Umgang mit der Natur anzuleiten. Das versuche ich über Lehrveranstaltungen und Forschung.
Wie gehen Sie mit Nachhaltigkeit persönlich um, bei Ihnen zu Hause?
Ich gebe mir Mühe, auf die vielen kleinen Aspekte zu achten. Mülltrennung, ein gewisser Konsumverzicht, Fleischverzicht, zudem bin ich seit zwei Jahren nicht mehr geflogen. Bei mir hat umweltbewusstes Handeln schon früh angefangen. Ich war als Jugendlicher in Umweltgruppen aktiv. Da haben wir auch so Dinge getan, wie Kröten über die Straßen getragen, die sonst gestorben wären.
… was es ja als praktischen Naturschutz heute immer noch gibt.
Sehen Sie! Und das ist Teil des Erfolgs. Das sind alles kleine Schritte, die in der Summe durchaus gesellschaftlich relevant sein können. Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit hat sich bei vielen Menschen verändert, auch dank der Umweltbewegung in den letzten 30 Jahren. Albert Schweizer hat gesagt: Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will. Das ist ein zentraler, ethisch reflektierter Gedanke, der dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung genau gesehen zugrunde liegt. Ich versuche also, einige Gedanken der Nachhaltigkeit im Privaten und mit meiner Arbeit umzusetzen.
Neue Technologien helfen aber nicht viel, wenn der breiten Bevölkerung Nachhaltigkeit egal ist. Denken Sie, dass gerade die Philosophie das Konzept der Nachhaltigkeit Menschen näher bringen kann?
Die Philosophie ist hier durchaus relevant. Und sie kann einflussreich und wirkungsvoll sein, was nicht immer gesehen wird. Sie kann eine treibende Kraft zur Änderung des Bewusstseins sein, indem sie grundlegende Fragen stellt und Selbstverständlichkeiten hinterfragt. Philosophie ist für mich eine Kunst der Reflexion über Dinge, über die sonst selten explizit nachgedacht wird, die aber alle angehen. Philosophie – im Sinne des Philosophierens – heißt auch, ins Gespräch zu kommen, wo Dinge ernst und drängend sind. Deshalb ist die Philosophie auch zur Bewusstseinsbildung und -veränderung der Gesellschaft geeignet, also dem, was dem Handeln zugrunde liegt.
Was muss die akademische Philosophie tun, um wieder im Bewusstsein der Menschen präsenter zu sein?
Das ist eine schwierige Frage. Hier in Darmstadt gibt es ein Institut für Praxis der Philosophie. Dort geht es darum, die Philosophie über Lebensthemen, die auch politisch relevant sein können, wieder in die breite Bevölkerung zu bringen. Und Sachen zu hinterfragen. Die Philosophie muss sich trauen, ein Stück weit unbequem zu sein. Ursprünglich hatte sie eine kritische Funktion. Man sieht hier sehr schön, dass kritisches Nachfragen eine Schnittmenge aus Nachhaltigkeit und Philosophie ist.
Wird der Nachhaltigkeitsbegriff heute nicht zu unkritisch gebraucht?
Die Nachhaltigkeitsdebatte – im Sinne einer kritischen Reflexion – hat in den letzten zehn Jahren an Ecken und Kanten verloren. Früher gab es etwa eine grundlegende Kritik am Wachstumsmodell oder am globalen Wettbewerbssystem. Nachhaltigkeit war Kritik am System. Suffizienz war hier ein wichtiges Stichwort: Gut leben statt viel haben. Mittlerweile ist Nachhaltigkeit als Begriff sehr breit gefächert. Man kann heute schon nachhaltig Geld anlegen. Da muss man schon sehr genau aufpassen, was sich hinter dem Label nachhaltig versteckt.
Noch einen Schritt weiter gedacht: Ist unser Wirtschaftssystem für eine konsequente Form der Nachhaltigkeit überhaupt geeignet?
Wir haben ein global kapitalistisches Wirtschaftssystem, das zunehmend virtualisiert ist. Ich engagiere mich dafür, dass grundlegende, kritische Systemfragen gestellt werden. Dazu gehört auch, ob nicht ein bedingungsloses Grundeinkommen angemessen ist – eine Frage, die zu wenig diskutiert wird und die für die Zukunft unserer Gesellschaft hochrelevant ist, denn mit Nachhaltigkeit sind ja wesentliche Gerechtigkeitsfragen verbunden. Wir sollten also fragen, ob das aktuelle Wirtschaftssystem angemessen ist. Diese Fragen sind auch dann zu stellen, wenn wir nicht wissen, welches System an seine Stelle treten könnte.
Aber wo genau sollte der Nachhaltigkeitsgedanke in dieser Diskussion ansetzen?
Die Idee der Nachhaltigkeit kann als ein Leitbild dienen, um eine Diskussion über grundlegende Fragen der Gerechtigkeit anzustoßen. Darüber hinaus erfordert Nachhaltigkeit ganz andere Wahrnehmungsweisen von Natur, Mensch und Gesellschaft, etwa eine ganzheitliche Wahrnehmung von allen Lebensformen und der Akzeptanz allen nicht-menschlichen Lebens. So etwas wird heute kaum diskutiert. Ebenfalls wäre zu fragen, wie wir in Zukunft leben, wirtschaften und konsumieren wollen. So steht Nachhaltigkeit als ein Leitbild, sich über eine erstrebenswerte Zukunft Gedanken zu machen.
Interview: Elias Ettenkofer und David Wünschel
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Dieses Interview ist im Rahmen eines Lehrprojektes von Prof. Dr. Torsten Schäfer im Studiengang Onlinejournalismus entstanden. Es erschien zuerst auf gruener-journalismus.de.
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