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Die Entwicklung von Zukunftsszenarien für das Smart Grid LAB Hessen

Quelle: Pixabay

Mit seiner Bachelorarbeit mit diesem Titel gewann Simon Plützer, aus dem Studiengang Elektrotechnik und Informationstechnik, als einer von sechs Studierenden den pra:ne – den Preis für Abschlussarbeiten zum Thema Nachhaltige Entwicklung. Dieser wird jährlich von Studierenden der „Studentischen Initiative: Nachhaltige Entwicklung“ (sti:ne) der Hochschule Darmstadt (h_da) verliehen. Drei Bachelor- und drei Masterarbeiten haben die mit Studierenden und Alumni besetzten 35-Köpfigen Jury überzeugt, einen bedeutenden Beitrag zur Nachhaltigen Entwicklung zu leisten (der Nachhaltigkeitsblog berichtete). Simon Plützer gibt nachfolgend Einblick in seine Bachelorarbeit, in der es um ein intelligentes Niederspannungsnetz der Zukunft geht. Er erstellte Leistungskurven für private Haushalte im städtischen und ländlichen Raum, die per Fotovoltaik selbst Strom erzeugen. Dies soll der intelligenten Steuerung im Energienetz dienen. Die Ergebnisse flossen in das Forschungsprojekt Smart Grid LAB Hessen ein. Bevor die Bereitstellung von simulierbaren Leistungsprofilen im Niederspannungsnetz für unterschiedliche Netztopologien möglich war, widmete er sich einer umfassenden Analyse:

Veränderung im Niederspannungsnetz

Die Energiewende und die damit verbundene Sektorenkopplung stellt Verteilnetzbetreiber zunehmend vor neue Herausforderungen. Durch neue elektrische Verbraucher wie Wärmepumpen oder Ladestationen für Elektroautos sind Steigerungen in der Nachfrage elektrischer Energie, sowie der benötigten Anschlussleistung zu erwarten. Hinzu kommen kleinere private Photovoltaik-Aufdachanlagen, die in ihrer Vielzahl eine ernst zu nehmende Energiequelle darstellen. Ehemalige Konsumenten treten dadurch zeitweise als Produzenten auf. Sie bilden sogenannte Prosumer (Producer + Consumer), die vorrangig im Niederspannungsnetz angeschlossen sind. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Last- und Einspeisespitzen örtlich, sowie zeitlich versetzt auftreten und sich dadurch nicht gegenseitig aufheben.

Das Ziel dieser Arbeit bestand darin, die aktuellen energierelevanten Strukturen von Prosumern im Sektor der privaten Haushalte in Hessen abzubilden und deren zukünftige Entwicklungen unter Berücksichtigung der energiepolitischen Ziele und Rahmenbedingungen zu prognostizieren. Die Ergebnisse sollten im Forschungsprojekt „Smart Grid LAB Hessen“ anwendbar sein. Das Projekt befasste sich mit den Herausforderungen im elektrischen Energienetz, die durch Prosumer verursacht werden und hatte als Ziel einen Leitfaden für resiliente Smart Grids auf der Verteilnetzebene zu erstellen.

Hessische Datengrundlagen

Hessische Gemeinden können in Statistiken eindeutig nach ihren Gemeindeschlüsseln identifiziert werden. Um das Bundesland aussagekräftig darzustellen, wurden anhand der Hessischen Gemeindestatistik 2021 die einzelnen Gemeinden anhand ihrer Einwohner-Arbeitsplatzdichte gewichtet und einem Verdichtungsraum zugeordnet. Dadurch ließen sich hessische Strukturen klar voneinander trennen und in die bereits bestehenden Labortopologien Land, Dorf, Vorstadt und Stadt überführen. Die Berechnungsmethode und die Abgrenzung der Verdichtungsräume wurde nach dem Landesentwicklungsplan Hessen 2020 gewählt und die Grenzwerte verschärft, um Land und Stadt eindeutiger voneinander zu trennen.

Abbildung 1 Abgrenzung der Labor Topologien (Quelle: Plützer)

Darauf aufbauend ließen sich weitere öffentliche Datensätze in die Prosumer-Modellierung integrieren, solange die enthaltenen Daten den Gemeindeschlüsseln zugeordnet werden konnten, bzw. sich auf diese hoch- oder runter rechnen ließen. Um den Bestand von Photovoltaikanlagen in Hessen mit und ohne Speicher zu analysieren wurde das Markstammdatenregister herangezogen. Das Kraftfahrt-Bundesamt lieferte Daten über den Bestand an Elektromobilen und der Ladesäulen-Infrastruktur. Allgemeine Energiedaten für Hessen wurden aus dem Energiemonitoringbericht Hessen 2021 entnommen, der auch Informationen zur Wärmeversorgung enthält. Ausbautrends in den Statistiken, sowie die Verteilnetzstudie Hessen 2024-2034 galten als erster Anhaltspunkt, für die zukünftige Prosumer-Entwicklung. Diese wurden anhand der energiepolitischen Ziele für Hessen fortgeführt und falls keine konkreten Ziele definiert waren, wurden die Ziele für ganz Deutschland auf das Bundesland projiziert.

Aktueller Prosumer-Ausbau

In Hessen prägen die ländlichen, dünn besiedelten Gemeinden große Gesamtflächen, wobei die Menschen dort hauptsächlich in Ein- und Zweifamilienhäusern leben. Rund dreiviertel der Hessischen Gesamtbevölkerung konzentriert sich demgegenüber in den städtischen Gebieten, die einen hohen Mehrfamilienhausanteil aufweisen und deutlich mehr Wohngebäude und Wohnfläche anbieten. Der Endenergieverbrauch (EEV) im Sektor der privaten Haushalte machte im Jahr 2020 rund 27 % des gesamten EEV in Hessen aus, wobei der größte Teil mit etwa 84 % für Wärme eingesetzt wurde. Die Hauptenergieträger dafür waren nach wie vor Mineralöle und Gase.

Abbildung 2 Bevölkerung und Wohngebäude in Hessen (Quelle: Plützer)

Rund dreiviertel aller in Hessen installierten PV-Anlagen weisen eine Anschlussleistung von unter 10 kWp auf. Diese Anlagengröße stellt rund ein Viertel der insgesamt im Bundesland installierten PV-Leistung. Im Mittel liegt die Leistung der einzelnen PV-Anlagen in Hessen bei 7,2 kWp, wobei die auf dem Land im Schnitt 8,1 kWp und die der Stadt 6,7 kWp aufweisen. Bezieht man die Anlagenanzahl auf die Anzahl der Wohngebäude so ergibt sich ein starkes Gefälle in Richtung der städtischen Topologien. Ein Grund für diese Unterschiede könnten die unterschiedlichen Wohnsituationen sein. In der Stadt wohnen viele Menschen auf wenig Fläche und es liegen oftmals Mietverhältnisse vor. Verschattungen sind durch die dichte Bebauung wahrscheinlicher und auf potenziellen Dachflächen konkurrieren die PV-Anlagen mit anderen Nutzungsarten wie beispielsweise Klimaanlagen oder privaten Erholungsräumen. Auch komplizierte Mieterstrommodelle könnten den Ausbau in stark verdichteten Räumen hemmen. Speichersysteme für Solaranlagen basieren aktuell hauptsächlich auf der Lithium-Ionen Technologie und sind mehrheitlich bei Anlagen unter 10 kWp zu finden. Im Gesamtbestand spielen sie allerdings aufgrund der hohen Kosten noch keine große Rolle.

Abbildung 3 Anteile der PV-Anlagen in den Labor Topologien (Quelle: Plützer)

Die Ladestationen für Elektromobile waren in den Statistiken nur auf Landkreisebene aufgeschlüsselt und wurden anhand der angemeldeten Elektroautos auf die Gemeinden verteilt. Der aktuelle Anteil im Bezug zu den Wohngebäuden ist zwar in allen Topologien noch verschwindend gering, allerdings hat der Zubau in den letzten Jahren rasant zugenommen. Die Anzahl privater Wallboxen übertrifft aktuell sehr deutlich die der Öffentlichen, allerdings konnten diese nicht eindeutig den Haushalten zugeordnet werden. Dadurch bleibt unklar, ob vermehrt tagsüber am Arbeitsort oder abends zuhause geladen wird. Bei den durchschnittlich zurückgelegten Tageskilometern von 36,5 km und einem Durchschnittsverbrauch von 23 kWh pro 100 km ergibt das einen elektrischen Energiebedarf von rund 8,4 kWh pro Elektrofahrzeug und Tag, was bei einer Ladeleistung von 11 kW in etwa einer dreiviertel Stunde Ladezeit entspricht.

Rund die Hälfte aller Primärenergiequellen in hessischen Neubauten waren im Jahr 2020 Wärmepumpen. Luft-Wärmepumpen sind in der Regel leichter zu installieren und deshalb günstiger als Grundwasser- oder Erdwärmepumpen und wurden aus diesem Grund auch häufiger eingebaut. Eine Studie des BDEW zum Hessischen Heizungsmarkt ergab, dass im aktuellen Gesamtbestand allerdings nur rund 4,7 % der Wohngebäude in Hessen durch elektrische Wärmepumpen beheizt werden. Aus diesem Grund wurden in den Szenarien für das Jahr 2020 im Zusammenhang mit den höheren Neubauanteilen nur in den städtischen Topologien Wärmepumpen berücksichtigt.

Zukünftike Entwicklungen

Der Zubau von Wohngebäuden fand in den letzten Jahren vor allem in den Stadt- und Vorstadt-Gemeinden statt, wobei die Wohnfläche pro Kopf stetig zugenommen hat. Hessen hat sich als energiepolitisches Ziel gesetzt, die Sanierungsquote auf 3 % anzuheben. Berücksichtigt man zusätzlich konsequent die Nachrüstpflicht für alte Öl- und Gasheizungen und die bundesweit angestrebte Klimaneutralität, steht dem Wärmesektor ein enormer Wandel in sehr kurzer Zeit bevor. Unklar bleiben aktuell noch die kommunalen Wärmeplanungen und die Rolle von Gasen wie beispielsweise Wasserstoff. In den entwickelten Zukunftsszenarien wurde mit einer starken Zunahme von Luft-Wärmepumpen gerechnet, wobei die Gesamtwärmeversorgung aber durch andere Technologien unterstützt wird.

Die Preise für Solarmodule und die benötigte Leistungselektronik für den Netzanschluss sind in den letzten Jahren stark gefallen. Dadurch liegen laut dem Fraunhofer Institut die Stromgestehungskosten für private Aufdachanlagen deutlich unter den Strompreisen der Energieversorger. Tendenziell konnte bei den Untersuchungen der Daten des Marktstammdatenregisters ein Zuwachs in der durchschnittlich installierten Leistung pro Anlage in allen Topologien erkannt werden, wobei das Land-Stadt-Gefälle bestehen blieb. In den absoluten Zahlen lagen vor allem die Dorf- und Vorstadtgemeinden in den letzten Jahren im Zubau vorne. Klare Eigentumsverhältnisse, größere Flächen und ein durchschnittlich höheres Einkommen begünstigen dort diesen Trend. Die hessische Verteilnetzstudie 2024 – 2034 ermittelte ein Potential von rund 25 GW auf hessischen Hausdächern. Das entspricht mehr als dem zehnfachen der aktuell insgesamt im Bundesland installierten PV-Leistung. Der Ausbautrend zum Prosumer steht somit noch ganz am Anfang. Immer beliebter wird auch der Zubau von PV-Anlagen in Kombination mit Batteriespeichern.

Abbildung 4 Photovoltaik Zubau Trends in den Topologien (Quelle: Plützer)

In den letzten Jahren setzten sich in den Kfz-Neuzulassungen noch Plug-In-Hybride durch, zukünftig sind allerdings vermehrt rein elektrische Antriebstechnologien und damit ein höherer elektrischer Energiebedarf zu erwarten. Die Verteilnetzstudie geht für das Jahr 2050 von einem elektrischen Anteil von 80 % im Gesamtbestand der Automobile aus und beziffert den zusätzlichen Stromverbrauch auf 63 TWh. In den Zukunftsszenarien wurde weiterhin davon ausgegangen, dass aus den ländlichen Gemeinden Arbeitnehmer*innen in die städtischen Gemeinden pendeln. Aus diesem Grund sind in den ländlichen Gemeinden eine höheren Tageskilometerleistung und somit auch längeren Ladezeiten zu erwarten. Vorstadt- und Dorfgemeinden verfügen im Schnitt über ein höheres Pro-Kopf-Einkommen und mehr private Parkmöglichkeiten, weshalb in naher Zukunft dort der Ausbau privater Ladestationen wahrscheinlicher ist. Die Verteilung der privaten Ladesäulen wurde in den Szenarien zusätzlich anhand der Ein- und Zweifamilienhäuser in den Gemeinden gewichtet.

Fazit

Insgesamt lässt sich festhalten, dass in allen für den Prosumer relevanten Technologien in den ländlichen Räumen eine höhere prozentuale Durchdringung zu erkennen ist, die sich im Vergleich zu den städtischen Gebieten aber durch deren höhere Gebäudeanzahl in den absoluten Zahlen relativiert. Auffällig in Hessen ist, dass vor allem die ländlichen Gebiete, die im Demographie Überblick als dünn besiedelt hervortraten, einen im Durchschnitt älteren Bevölkerungsanteil aufwiesen und durch Abwanderungen gekennzeichnet waren, einen Großteil der EEG-geförderten Einspeisung übernahmen. Zukünftig weisen die städtischen Gemeinden ein großes Potential für Prosumer-Ausbau auf, in den ländlichen ist dieser aber leichter umsetzbar, begründet durch den hohen Einfamilienhausanteil, weniger Flächennutzungskonkurrenz und größere Wohnbauflächen pro Einwohner. Während sich PV-Anlagen weitestgehend am Markt etabliert haben, ist der Zubau von Wärmepumpen und Ladestationen aktuell noch stark an Fördergelder gekoppelt. Der Komplettausbau zum Prosumer ist aber heute schon wirtschaftlich sinnvoll.

Um basierend auf der vorangegangenen Analyse Lastkurven für Gebäude berechnen zu können wurde im Rahmen dieser Arbeit ein MATLAB-Programm zur Prosumer-Nachbildung entwickelt. Dort können mit Hinblick auf die Komponenten Photovoltaikanlage, Batteriespeicher, private Ladestation für Elektroautos und elektrische Wärmepumpe Prosumer-Konstellationen in verschiedenen Netz-Topologien und Szenarien berechnet werden. In den Netzabschnitten des Labors beziehen Wechselrichterpaare die Elektrizität aus dem Niederspannungsnetz auf Basis der durch das Programm berechneten Werte. Dadurch konnten im Rahmen des Forschungsprojektes gefahrlos herausfordernde Netzsituationen individuell nachgestellt und untersucht werden.

Abbildung 5 Lastverläufe eines Prosumers im Smart Grid LAB Hessen (Quelle: Plützer)

Wenn es gesellschaftlich gewollt ist die Klimaneutralität anzustreben, um die Folgen des Klimawandels zumindest einzudämmen, steht dem elektrischen Energienetz in den nächsten zwei Jahrzehnten ein gewaltiger Wandel bevor, der vorrangig in den Verteilnetzen stattfindet. Prosumer sollten aus diesem Grund netzstabilisierend in die bestehenden Strukturen integriert werden. Eine sinnvolle Digitalisierung der niedrigen Spannungsebenen zur optimierten Betriebsführung und des datengestützten Netzausbaus ist in diesem Zusammenhang unumgänglich.

Für weitere Details wenden Sie sich gerne an Simon Plützer unter simonpluetzer@gmx.de.

Autor: Simon Plützer, Studiengang Elektrotechnik und Informationstechnik

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