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Handbook of Leather Design for Sustainable Development

Quelle: h_da, Jonas Rehn
Quelle: h_da/Jonas Rehn-Groenendijk

Wie gelingt es den Akteuren in der Lederbranche, nachhaltigere Lederprodukte zu entwickeln? Die dazu notwendigen Schritte will das „Handbook of Leather Design for Sustainable Development“ unterstützen. Es ist ein Ergebnis aus dem Projekt Systeminnovation für Nachhaltige Entwicklung (s:ne), für das die Hochschule Darmstadt (h_da) aus dem Bund-Länder-Programm „Innovative Hochschule“ Förderung erhalten hat. Beteiligte aus Wissenschaft, Industrie und NGOs haben das Handbuch gemeinsam in einem transdisziplinären Prozess erarbeitet. Auf 240 Seiten liefert es konkrete Informationen zu unterschiedlichen Themen im Kontext Leder – von Design und Nachhaltiger Entwicklung u.a. zu Lieferketten, historischen Aspekten und Kaufverhalten.

Was ist das Besondere an dem Handbuch und wie ist es entstanden?

Das Besondere an dem Handbuch zeigt sich bereits im Entstehungsprozess. Es ist nicht primär entstanden aus der Brille von Fachleuten zu einzelnen Fragen, sondern von unterschiedlichen Akteuren der Lederlieferketten wie Gerbereien, Chemieunternehmen, Markenherstellern, Verbänden und NGOs bis hin zu Vertretern von Ledermuseen. Gemeinsam mit dem Forschungsteam der h_da beleuchten sie ganz unterschiedliche Facetten. Diese spannende Mischung aus Praxis und Wissenschaft hätte sich ohne das s:ne Projekt wahrscheinlich nie zusammengefunden. Sie vertreten ganz unterschiedliche Perspektiven auf die Herausforderungen in der Lederbranche. Ausgangspunkt war die Frage: Wie können wir dazu beitragen, Lederprodukte nachhaltiger zu entwickeln? Dieser transdisziplinäre Prozess, typischerweise geprägt von Aushandlungen, Verständigungen und Kompromissen zwischen den Beteiligten, spiegelt sich in den gemeinsam geschriebenen Kapiteln des Buches wieder.

Der gesamte Prozess, aus dem das Handbuch entstanden ist, hat über 15 Monate gedauert; nach sechsmonatiger Planung und Festlegung der Kapitelthemen und Autorenschaft, entstanden die Texte in einem etwa halbjährigen Prozess mit einer ganzen Reihe an Feedbackschleifen. Dabei standen über 20 Beteiligte im Austausch (sieben aus der Hochschule und 17 aus der Praxis, welche 15 Organisationen vertreten).

Welche Rolle hatte das Team der h_da?

Das achtköpfige h_da-Team steuerte den Gesamtprozess. Es hatte dabei verschiedene Funktionen zu erfüllen. Neben der fachlichen, auch disziplinenübergreifenden Expertise ging es darum, den transdisziplinären Prozess zu organisieren und die Beteiligten durch die einzelnen Schritte zu navigieren. Das Team gestaltete mit den Akteuren aus der Praxis gemeinsam den roten Faden des Handbuchs, redigierten die Texte und sorgte für ein homogenes Erscheinungsbild.

Hilfreich war, gemeinsam an Online-Dokumenten zu arbeiten. Bilaterale Gespräche und Online-Workshops rundeten den Prozess ab. Wichtig war, darauf hinzuwirken, dass die Praxis-Akteure auch Verantwortung übernehmen („Ownership“), für das, was sie einbringen und auch offen sind für andere Perspektiven. So entstand ein gemeinsamer Lernprozess auch mit denjenigen, die fachlich einem anderen Gebiet oder anderen Abschnitt der Lieferketten angehören.

Welche Rolle spielte dabei der transformative Ansatz bzw. die transformative Forschung?

Veränderung ist schmerzhaft; sie passiert nicht von alleine. Deshalb kam in s:ne ein problemorientierter methodisch-konzeptioneller Ansatz zum Tragen: Anknüpfend an den Stand der Diskussion in der transformativ ausgerichteten Wissenschaft stützte sich s:ne auf den Transment-Ansatz. Der Begriff Transment verbindet Transfer, Transdisziplinarität und Transformation mit dem Erprobungscharakter eines Experiments. Das Ziel des Projekts, eine Systeminnovation hin zu einer nachhaltigeren Lederchemie entlang der globalen Lieferketten zu befördern, adressiert ein „verzwicktes“ Problem („wicked problem“). Dieses lässt sich mit herkömmlichen Ansätzen nicht erfolgreich angehen.

Was beinhaltet der transdisziplinäre Ansatz in der Methodik bzw. Arbeitsweise?

Der Transment-Ansatz bringt in strukturierter Weise Akteure aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen (wie Chemie, Rechts- und Betriebswissenschaften, Psychologie, Design-Forschung) zusammen mit Fachleuten aus der Praxis (Gerbereien, Lederbrands, Chemieunternehmen, Verbraucherorganisationen, IT-Unternehmen). Diese heterogene Gruppe steht dann vor der Herausforderung, ihre eigenen disziplinären Denkmuster und Routinen ein Stückweit hinter sich zu lassen, um ein gemeinsames Verständnis der Problemkonstellation zu gewinnen. Das ist der Kern der transdisziplinären Arbeit – Wissenschaft mit Industrie, Praxis und idealerweise Zivilgesellschaft ausgehend von dem Problem hin zu einem Prozess der Lösungsentwicklung zu begleiten.

Wie die Bürgerschaft in und um Darmstadt zu Lederprodukten und deren Herstellung steht, konnte s:ne durch das Bürgerpanel in Erfahrung bringen.

Die Grundannahme ist von Problemen auszugehen und ergebnisoffen zu arbeiten, das h_da-Team wusste nicht, dass am Ende ein Handbuch stehen wird. Maßgeblich war, etwas zu erschaffen, was die Beteiligten aus der Praxis selbst als hilfreich ansehen würden. Ziel war es nicht, eine abstrakte Erkenntnis für die wissenschaftliche Community und Weiterverwendung zu erzielen, sondern Veränderungen in der Praxis anzustoßen bzw. umzusetzen – z.B. in der Lederherstellung, im Einsatz von nachhaltigeren Chemikalien in Lederprodukten. Wichtig war dazu, die Bedarfe der Praxis in den Mittelpunkt zu stellen. Entscheidend war, dass die Praxis selbst in der Gestaltung des Vorhabens involviert war, was zu einem höheren Commitment beiträgt. Ebenso hilfreich war ein umfassender, vorgelagerter Szenario-Prozess, der mit der Praxis eine Zukunftsvision der Lederlieferkette 2035 mit zwei völlig unterschiedlichen, aber realistischen Szenarien erarbeitete.

Welche Methoden haben in der Zusammenarbeit gut funktioniert?

Nicht alle Beteiligten verfügten über die gleiche Schreiberfahrung. Manche Informationen stützten sich daher auf bilaterale Interviews, wieder andere wirkten am Review-Prozess mit.

Bedeutsam war das transparente Arbeiten und Schreiben, unterstützt durch die Verwendung von Online-Dokumenten und interaktiven pdfs, die eine inhaltliche Bewertung zuließen, sowie digitaler Whiteboards. Dergleichen spielten, bedingt und eingeführt durch die Pandemie, regelmäßige Online-Workshops eine wichtige Rolle, um auch internationale Akteure zu gewinnen. Das h_da-Team hat die Workshops sorgfältig vor- und nachbereitet.

Was hat die Akteure motiviert mitzumachen?

Für die Beteiligten war die Mitwirkung an dem Handbuch zunächst einmal eine zusätzliche Belastung. Die Bereitschaft, aktive Beiträge zu leisten hatte mehrere Ursachen: Einige haben die Sinnhaftigkeit erkannt, das Thema nachhaltigere Lederchemie voranzubringen; teilweise wohl aus intrinsischer Motivation, aber auch aufgrund der sich stetig schärfenden Gesetzesänderungen, Stichwort Green Deal. Andere fanden den Austausch, die Networking-Möglichkeit und auch die Arbeitsweise an sich interessant und wollten sie erproben. Hinzu kam die namentliche Nennung der Autorenschaft im Handbuch. Die Akteure waren damit motiviert, sich in einer aktiven Rolle zu sehen und ein „Ownership“ zu übernehmen.

Welche Hinternisse gab es in der Zusammenarbeit?

Eine Herausforderung lag darin, kontroverse Themen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und dabei eine ausgewogene Darstellung zu schaffen. Vereinzelt wurden dabei auch divergierende Meinungen im Handbuch gleichberechtigt aufgenommen und kenntlich gemacht. Überwiegend öffneten sich die Akteure jedoch inhaltlich: Sie waren bereit für einen Perspektivenwechsel und zeigten sich offen inhaltlich weiterzukommen, was sich insbesondere auf die Rolle und die Funktion des Designs im Kontext nachhaltigerer Produktentwicklung bezog. Einige Beteiligte waren anfänglich etwas gehemmt, weil es angreifbarer ist, etwas aufzuschreiben, als lediglich mündlich zu diskutieren. Hier hatte das h_da-Team die Aufgabe, Unsicherheiten aus dem Weg zu räumen. Dazu gehörte, dass die Mitwirkenden bis zum Redaktionsschluss Inhalte verändern bzw. streichen konnten, sie also in transparenter Weise die Inhalte zu kontrollieren vermochten.

Für wen ist das Handbuch interessant und wo ist es erhältlich?

Besonders für Akteure die Lederprodukte entwickeln, Design-Teams, Produktmanager*innen, Akteure im Marketing, im Einkauf bzw. Sourcing von Materialien, aber eben auch in Ausbildung und Studium ist das Handbuch interessant. Gestreut wurde das Handbuch u.a. über Kontakte zu Branchenverbänden und Vertreter*innen, der Lederindustrie, es wurde in großen internationalen Newslettern erwähnt und über LinkedIn.

Es ist für jeden frei abrufbar unter: Handbook of Leather Design for Sustainable Development

Wer einen kürzeren Einstieg in die Thematik sucht, kann sich auch zunächst das „Leather Product Design Canvas“ herunterladen. Dieses Poster basiert auf den Prinzipien des Business Model Canvas. Es umfasst die zentralen Aspekte des Handbuchs und adressiert diese mit Impulsfragen. Nutzende könnten diese Vorlage vor und während Designprozessen zur Orientierung oder auch anschließend als Evaluationsinstrument nutzen.

Die PDF hierzu ist für jeden frei abrufbar unter: Leather Product Design Canvas

Leather Product Canvas (Quelle: h_da/Jonas Rehn-Groenendijk)

Welches Feedback gab es bisher zum Handbuch?

Das Feedback zum Handbook war bisher durchgehend sehr positiv von Vertreter*innen der Branche. Die Anwendung bzw. ob sich Produktentwicklungsprozesse hin zu nachhaltigeren Lederprodukten verändern, wird sich erst in der Zeit zeigen, bedingt durch die langen Entwicklungszyklen in der Branche – diese liegen etwa zwischen 1,5 – 2 Jahren.Nichtsdestotrotz konnte noch während der Projektlaufzeit das Handbuch im kleinen Rahmen auf seine potentielle Systemwirkung getestet werden. Das h_da-Team richtete hierzu einen Wettbewerb aus, „More Sustainable Leather Product 2023 Design Competition and Mentoring Competition“. Der Design Wettbewerb fand in zwei Stufen statt. Eine internationale Mailaktion wurde gestartet, um den Call auszurufen. Interessierte wurden eingeladen, für ein beliebiges Lederprodukt mit Hilfe des im Handbuch enthaltenen „Leather Product Design-Canvas“ und vorgegebene Kriterien ein Designkonzept einzureichen. Zehn ausgewählte Designer/Designer-Teams aus Bangladesh, Indonesien, Indien und UK kamen in den Genuss eines sechsstündigen Mentoring Programms mit Expert*innen aus Industrie und Wissenschaft, um ihr Konzept auf Basis des Handbuchs zu verfeinern. Eine Siegerehrung rundete das Ganze ab.

Hier erfahren Sie mehr über das Projekt.

Autorin: Eleni Kaluziak, Mitarbeiterin im s:ne Teilvorhaben Nachhaltigere Chemie in den Lederlieferketten

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