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Klimarettung durch Kernfusion?

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„zu spät und zu teuer“ – der Wissenschaftliche Klimabeirat der Hessischen Landesregierung warnt in einer Pressemeldung vor zu großer Hoffnung in die Kernfusion zur Erreichung der hessischen Klimaziele. Sie könne hierzu keinen Beitrag leisten.  Prof. Dr.-Ing. Sven Linow, Professor für Thermodynamik und Umwelttechnik am Fachbereich Maschinenbau und Kunststofftechnik der Hochschule Darmstadt, ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Klimabeirats, welcher die Hessische Landesregierung unabhängig zu Klimaschutz und Klimaanpassung berät. Im Gespräch mit dem Nachhaltigkeitsblog erzählt er uns mehr über das Statement des Beirats.

Nachhaltigkeitsblog: Bevor wir inhaltlich tiefer in die Inhalte des Statements einsteigen, können Sie uns kurz erklären, worum es bei der Kernfusion geht? Und wie kann diese einen Beitrag zum Klimaschutz leisten?

Prof. Dr.-Ing. Sven Linow: Kernfusion ist der Traum, dass es einmal möglich sein könne, auf der Erde durch das technische Verschmelzen von sehr leichten Elementen Energie bereitstellen zu können. Dieser Prozess läuft in Sternen bei für uns unvorstellbar hohem Druck und Temperatur ab: Das ist das, was Sterne, einschließlich unserer Sonne, leuchten lässt. Klimaschutz bedeutet konkret, dass wir versuchen die Erderwärmung unterhalb von 2,0 °C zu halten. Das eigentlich einmal genannte 1,5 °C Ziel haben wir in 2024 endgültig gerissen. Jede Technologie die dazu einen Beitrag leisten soll, muss jetzt in der benötigten Größenordnung direkt einsetzbar sein und bei ihrer Umsetzung keine Treibhausgase freisetzen. Fusion erfüllt keine dieser Anforderungen, daher kann sie keinen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Nachhaltigkeitsblog: In der Pressemitteilung des Klimabeirats zum Thema Kernfusion habe ich gelesen, dass Sie angesichts der Ergebnisse aus der aktuellen Fusionsforschung verwundert sind, über den hohen Stellenwert, den die Fusion in der politischen Diskussion derzeit einnimmt. Was genau zeigen die Ergebnisse der neusten Studie denn bezüglich der Kernfusion? Inwiefern haben die Ergebnisse Sie dazu gebracht, die Hoffnung in die Kernfusion infrage zu stellen?

Prof. Dr.-Ing. Sven Linow: Die von uns in Auftrag gegebene Studie – übrigens auch eine völlig unabhängige Studie des Verbands der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. (VDE) – fasst den Stand des Wissens zur Kernfusion zusammen. Kernfusion wird seit über 70 Jahren mit beeindruckendem Ressourceneinsatz erforscht, ohne dass es zu Kernfragen mehr als erste Ideen gibt, wie diese einmal gelöst werden könnten – Technologiereifegrad 1 oder 2 von 9: Wir wissen jetzt, dass es im Labor möglich ist, Fusion im sehr kleinen Maßstab ablaufen zu lassen. Was uns fehlt sind z.B.:

  1. eine Technik, mit der wir das benötigte Tritium erzeugen (ohne Tritium keine Fusion),
  2. eine Technik, mit der wir den Heißdampf erzeugen, mit dem die Dampfmaschine dann Elektrizität erzeugen soll,
  3. eine Idee, aus welchem Material der Reaktor einmal gefertigt werden kann,
  4. unerschöpfliche Rohstoffquellen aus denen die in beeindruckendem Tempo verstrahlten Reaktorkomponenten immer neu hergestellt werden sollen
  5. und die Technik, die einen Reaktor stetig laufen lässt, sodass er kontinuierlich Elektrizität erzeugt.

Kernfusion hat in der aktuellen Diskussion eine spezielle Rolle: Es ist die Erlösung, die uns einmal – weit in der Zukunft – zuteil wird. Aber nur, wenn wir stark genug an Fortschritt und Wachstum glauben und diesem alles unterordnen. Spannend ist, dass das, was heute als Gedankenkonstrukt erkennbar ist, selbst wenn es so klappen würde (wofür sehr viele Wunder geschehen müssen), nicht wirtschaftlich und nicht gesellschaftlich möglich sein wird: Dies wird ein Ungeheuer an Technologie, die ungeheure Massen an wertvollsten Ressourcen verschlingt und ungeheure Mengen an Elektrizität für sich selbst benötigt. Ob die benötigten Ressourcen für mehr als wenige Jahre an Betrieb existieren ist unklar. Ob dann überhaupt Elektrizität nach außen abgegeben werden kann ist unklar. Selbst im besten Falle werden jedoch Kapital-, Investitions-, Verbrauchs- und die Entsorgungskosten so viel höher sein, als z.B. bei heutigen Kernkraftwerken, dass die Elektrizität nur für die allerreichsten Haushalte vielleicht bezahlbar wird.

Nachhaltigkeitsblog: Gibt der Klimabeirat eine Empfehlung?

Prof. Dr.-Ing. Sven Linow: Kernfusion wird keinen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele liefern. Darin sind sich wirklich alle einig, auch alle, die im Bereich Fusion forschen und noch an eine technische Umsetzbarkeit irgendwann in weiter Zukunft glauben. Unsere Empfehlung ist, jetzt die notwendigen Maßnahmen für den Klimaschutz mit vorhandenen Technologien und auf der Basis von verfügbaren Ressourcen umzusetzen: Das Land hat noch 20 Jahre um seine sich selbst verbindlich gesteckten Ziele zu erreichen – da muss es langsam wirklich ins echte reale Handeln kommen. Den Eindruck zu vermitteln, es gäbe da irgendwo diese Wundertechnik, die uns alle erlösen kann, und deshalb auf das Notwendige zu verzichten, ist aus meiner Sicht fahrlässig.

Nachhaltigkeitsblog: Was wären aus Ihrer Sicht die wesentlichen aktuellen Technologien und Ressourcen, auf die wir uns konzentrieren sollten, um im Klimaschutz voranzukommen?

Prof. Dr.-Ing. Sven Linow: Wir haben alle Technologien, die wir benötigen, denn wir brauchen jetzt die Transformation und dann nehmen wir, was jetzt ausgereift ist und funktioniert. Windkraft, Photovoltaik, Wärmepumpen, Netzausbau, lokal erzeugter Wasserstoff, importierte Grundstoffe usw. Bei den Ressourcen benötigen wir z.B. eine enge und in Europa stattfindende Kreislaufwirtschaft und sehr viel mehr Raum für unsere lebendige Erde. Das Problem ist hier nicht technisch, sondern gesellschaftlich.

Nachhaltigkeitsblog: Vielen Dank für den Einblick. Können Sie uns schon verraten, welches nächste große Thema der Klimabeirat unter die Lupe nimmt?

Prof. Dr.-Ing. Sven Linow: Wir haben uns für die nächsten Monate ein – für einen Beirat der dies unentgeltlich und vollständig in seiner Freizeit macht – umfangreiches Programm zu einzelnen Aspekten der hessischen Klimapolitik vorgenommen.

Nachaltigkeitsblog: Wir sind gespannt.

Nachhaltigkeitsblog: Abschließend würde ich Ihnen gerne noch zwei Fragen zur Hochschule Darmstadt stellen. Wo sehen Sie an der h_da den dringendsten Handlungsbedarf in Bezug auf unsere Klimakrise?

Prof. Dr.-Ing. Sven Linow: Anpassung der Bausubstanz an die Ziele der CO2-neutralen Landesregierung: Diese soll bis 2030 erreicht sein. Bis dahin sollten eigentlich alle Gebäude energetisch umgestellt, der Betrieb und auch die Mobilität CO2-neutral sein.

Nachhaltigkeitsblog: Und wenn Sie ein Thema herausgreifen, was läuft Ihrer Meinung nach schon gut an der Hochschule?

Prof. Dr.-Ing. Sven Linow: Wir sind die einzige Hochschule in Deutschland mit einer eigenen Klimaanpassungsmanagerin. Wir bekommen ein eigenes Klimaanpassungskonzept und könnten damit einiges machen, um in näherer Zukunft weiter erträgliche Bedingungen in der h_da zu ermöglichen.

Nachhaltigkeitsblog: Vielen Dank für Ihre Auskunft und dass Sie sich so viel Zeit für unsere Fragen genommen haben!

Prof. Dr.-Ing. Sven Linow: Ich bedanke mich ebenfalls.

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