1 In Lehre, Forschung & Transfer

„Aus der Chemie heraus nachhaltig werden“

Industrie bei Nacht
Quelle: Adobe Stock

Nach 30 Jahren engagierter Lehre an der h_da geht Chemie-Professor Volker Wiskamp kommendes Jahr in den Ruhestand – ein enthusiastischer Wissensvermittler, der über den eigenen Tellerrand hinausschaut. Mit seinen Ansätzen einer ökologischen Chemie vertritt er eine Stoßrichtung, wie sie kaum aktueller sein kann. Im impact-Interview spricht er über Potenziale einer klimafreundlichen, erdölunabhängigen Chemie. Und äußert Bedenken, ob die Natur der Menschheit für den nötigen Umbau genug Zeit lässt.

Ein Interview von Alexandra Welsch, 24.5.2022

impact: Herr Wiskamp, viele Menschen dürften bei Chemie nicht unbedingt an Ökologie und Umweltschutz denken. Wie geht das für Sie zusammen?

Volker Wiskamp: Es ist sicherlich richtig, dass die Chemie viel in der Ökologie kaputt gemacht hat. Aber andererseits ist sie die Grundlage jeglichen Lebens, alle Lebensprozesse basieren letztlich auf biochemischen Prinzipien, und man muss einen chemischen Hintergrund haben, um die Ökologie zu verstehen.

impact: Wie sind Sie dazu gekommen, als Chemiker diesen Ökoschwerpunkt zu setzen?

Wiskamp: Das geht zurück in meine Jugend. 1972 kam „Die Grenzen des Wachstums“ von Dennis Meadows und seinem Team heraus, das hat mich als 15-Jähriger unheimlich beeindruckt – diese Voraussagen, dass die Erde irgendwann überbevölkert ist und das ganze System zusammenbricht.

impact: Klimawandel, Artensterben, Überbevölkerung – in Ihren Publikationen konstatieren Sie, dass wir uns in einer Metakrise befinden, und die Chemie die Basiswissenschaft ist, um das zu beleuchten. Welche Erkenntnisse liefert sie?

Wiskamp: Das Verständnis von ökologischen Zusammenhängen. Alles hängt mit allem zusammen, das lernen wir schon im ersten Semester. Wenn wir uns eine chemische Reaktion anschauen, haben wir ein Durcheinander von verschiedenen Reaktionspartnern, die hin- und zurückreagieren, die aber letztlich in einem Gleichgewicht stehen. Diesen chemischen Zusammenhang kann man direkt auf ökologische Systeme und deren Gleichgewicht übertragen.

Portraitaufnahme Prof. Dr. Volker Wiskamp vor dem CuB-Gebäude der h_da
„Wir können die Ökologie nicht ohne die Chemie verstehen“: In seinen Lehrveranstaltungen bringt Chemie-Professor Volker Wiskamp Studierenden den Zusammenhang zwischen Chemie und Nachhaltigkeit nah. Quelle: Jens Steingässer

impact: Können Sie ein Beispiel nennen, wie die Kleinteiligkeit von Chemie dem großen Ganzen im Sinne einer Nachhaltigkeit dienen kann?

Wiskamp: Da nehme ich gerne Stickstoff. Stickstoff haben wir in der Luft als N2-Molekül, und einige Pflanzen schaffen es in Symbiose mit Knöllchenbakterien, Stickstoff mit biochemisch fixiertem Wasserstoff in Ammoniak (NH3) zu verwandeln. Ammoniak ist eine der meistproduzierten Chemikalien und Basis von zahlreichen Düngern. Um ihn industriell in großen Mengen herzustellen, wird Stickstoff nach dem Haber-Bosch-Verfahren mit Wasserstoff energieaufwendig umgesetzt bei 500 Grad und 500 bar. Die Natur macht das über die Biokatalyse ökologisch viel besser auf einfache, energiearme Art.

impact: Inwiefern werden solche ökologischen Methoden schon praktiziert?

Wiskamp: Da ist man dabei. Die Ammoniak-Synthese ist ein schönes Beispiel, dafür braucht man Wasserstoff. Wasserstoff wird konventionell aus Erdgas gewonnen, das bei hohen Temperaturen (über 1000 Grad) mit Wasser reagiert. Den dabei entstehenden Wasserstoff nennt man grauen Wasserstoff, weil bei der Produktion CO2 entsteht, das den Treibhauseffekt anheizt. Die Natur hingegen gewinnt Wasserstoff über die Photosynthese der Pflanzen. Sie macht uns par excellence vor, wie sie Wasserstoff erzeugt, speichert und dann zur Umwandlung von CO2 in Zucker oder von Stickstoff in Ammoniak einsetzt. Das kann man nachstellen mit Wasserstoff aus Wasser mit Hilfe der Sonnenenergie – die kostet nichts und muss nur umgewandelt werden.

impact: Kann man das auch im größeren Stil einsetzen in der Industrie?

Wiskamp: Ja. Mit Solartechnik kann man aus Sonnenenergie elektrischen Strom erzeugen, damit Wasser elektrolysieren und Sauerstoff und Wasserstoff erzeugen. Grundsätzlich sind die Techniken also da, sie müssen nur im großen Maßstab angewandt werden. Ich bin zuversichtlich, dass das innerhalb der nächsten dreißig bis vierzig Jahre gelingen kann. Die Frage ist nur, ob die Natur uns noch so viel Zeit lässt.

Der Chemiker Prof. Dr. Volker Wiskamp am Schreibtisch in seinem Büro an der Hochschule Darmstadt.
Interdisziplinäre Ansätze: In seinen Seminaren schlägt Chemiker Wiskamp den Bogen von der Lebensmittelchemie bis hin zur Tierethik. Quelle: Jens Steingässer

impact: Sie setzen auf Bewusstseinsbildung, auch als Lehrender. Wie vermitteln Sie das Ihren Studierenden?

Wiskamp: Ich habe mit praktikumsintegriertem Umweltschutz angefangen. In Chemiepraktika kommen Gefahrstoffe wie Lösungsmittel oder Schwermetalle zum Einsatz, und Chemiker müssen mit Giftstoffen ja auch umgehen können. Wenn man das verantwortungsbewusst macht und darauf achtet, was mit den Produkten und Versuchsresten geschieht, ist man automatisch bei ökologischen Aspekten.

impact: Nichts hinterlassen, was das Gleichgewicht stört.

Wiskamp: Ja genau. Als wir damit angefangen haben, haben wir in meinen Praktika die Abfallmengen um 90 Prozent reduziert. Dadurch, dass wir Experimente in einem kleineren Maßstab durchgeführt, einige Chemikalien recycelt, Lösungsmittel rückdestilliert und auf diese Weise Elemente einer Kreislaufwirtschaft modelliert haben. Der Ansatz ist, dass wir aus der Chemie heraus ökologisch werden.

impact: Wie nehmen Sie Ihre Studierenden dabei mit, auch didaktisch?

Wiskamp: Vor allem durch interdisziplinäre Ansätze. Nehmen wir Lebensmittel, da sprechen wir in der Biochemie über Proteine, Fette und dergleichen. Dann schlage ich die Brücke zu Peter Singers Tierethik. Massentierhaltung sollte man allein schon aus tierethischen Gesichtspunkten ablehnen, aber es hat auch einen chemischen Hintergrund. Massenhaft gehaltene Kühe wehren sich auf ihre Art, indem sie jede Menge Gülle produzieren. Die Bauern wissen nicht, wohin damit, schmeißen sie zum Düngen aufs Land und vergiften damit das Trinkwasser. Das nenne ich die Rache der Kühe. So kombiniere ich chemische Aspekte mit tierethischen Gesichtspunkten.

impact: Was bewirkt das bei den Studierenden?

Wiskamp: Ich denke, es bewegt eine Menge. Die Studierenden sagen immer wieder, da haben wir so noch nie drüber nachgedacht. Das ist an sich schon ein großer Gewinn, und ökologische Bildung ist ja auch ein Nachhaltigkeitsziel der Agenda 2030.

impact: Lässt sich die nachwachsende Generation so nachhaltig auf ökologisches Handeln einstellen, dass sie später als Akteure in der Industrie entsprechend agieren?

Wiskamp: Da müssen wir hin. Ich bin glücklich über Greta Thunberg, sie hat eine Jugendrevolution angestoßen, die wir brauchen. Junge Leute merken, dass es so nicht mehr weitergeht. Sie haben zwar selbst noch keine Handlungskompetenz, können aber etwas anstoßen. Und daraus haben sich auch die Scientists for Future entwickelt, es ist eine große Bewegung geworden. Leider ist sie ein bisschen eingeschlafen durch die Coronasituation, ohne die wir heute gewiss schon viel weiter wären.

impact: Und welches ökologisches Innovationspotenzial sehen Sie in der Industrie?

Wiskamp: Wir haben in einem Ökoseminar 2017 die Jahresberichte der großen deutschen Chemiefirmen gelesen. Was uns da aufgefallen ist: BASF ist der maßgebliche Treiber für Nordstream 2, denn die Firma hat die größte Ammoniakproduktion der Welt und braucht Methangas für die Wasserstoffgewinnung. Ich habe damals schon gesagt, das ist der falsche Weg. Das ganze Geld, das in Pipelines gesteckt wurde, hätte man in Windparks investieren können. Das haben wir verpennt.

impact: Nun will aber unter dem Eindruck von Putins Aggression mittlerweile selbst die deutsche Großindustrie vom Erdgas weg. Wie lässt sich das aus Sicht des Ökochemikers bewerkstelligen – alles mit Solarmodulen zupflastern?

Wiskamp: Wir haben in Deutschland zu wenig Platz und zu wenig schönes Wetter. Im großen Maßstab wird das vielleicht nicht funktionieren, da sind die Windparks besser. Aber: Wir haben große Wüstengebiete in der Welt, die können wir mit Solarzellen vollpflanzen und in riesigen Mengen Strom erzeugen. Stromintensive Industrien, zum Beispiel zur Aluminiumgewinnung, kann man direkt daneben stellen. Und über die Wasserelektrolyse kann man Wasserstoff erzeugen und dann Ammoniak aus Ökowasserstoff herstellen.

impact: Wie hoffnungsvoll sind Sie denn, dass das absehbar geschieht?

Wiskamp: Es braucht für die Umsetzung zunächst Willen und dann Zeit. Ich fürchte letztlich, die Zeit läuft uns davon.

Autorin: Alexandra Welsch, Originalbeitrag auf impact

Das könnte dich auch interessieren

1 Kommentar

  • Antworten
    Der Orientale
    9. Januar 2023 at 15:46

    Interessantes Interview, auch, wenn ich persönlich in vielen Punkten anderer Ansicht bin. Die direkte Verbindung zwischen der Erzeugung chemischer Produkte und dem Einfluss dessen auf unsere Natur ist von existenzieller Bedeutung und sollte auch während des Studiums meiner Meinung nach mehr in den Fokus rücken.
    Will man in Deutschland riesige Windparks bauen, sollte man bedenken, dass Windräder nach wie vor aus Polyethylen und PVC hergestellt werden. Auch ICE-Schnellzüge bestehen zum größten Teil aus Kunststoff. Darüber hinaus auch zahlreiche andere Produkte in unserem Alltag, ohne die wir im 21. Jahrhundert nicht auskommen könnten. Sprich, die Lösung hin zur Rettung von Klima in Umwelt liegt nicht darin, auf chemische Erzeugnisse gänzlich zu verzichten, sondern, wie hier gut geschildert, Chemieprodukte nachhaltig herzustellen.
    Die Chemie ist mitverantwortlich an der Verpestung unserer Natur, ist aber auf der anderen Seite die wichtigste Wissenschaft hin zur Auffindung von Lösungen hierzu. Von daher sollte es mehr Beiträge, wie diesen geben, die vor allem junge Leute, Studenten und Studieninteressierte ansprechen und sie davon überzeugen, dass die Chemie den schlechten Ruf, den sie hat, eigentlich nicht verdient und dass wir ihre Kenntnisse immer brauchen werden, völlig gleich, welchen Weg wir einschlagen. Ob wir mit riesigen Lithiumbatterien betriebene Autos fahren oder unser Heim mit Erdwärmekollektoren beheizen, wir werden immer Werke und Menschen brauchen, die die Ausgangsstoffe bereitstellen. Die hoffentlich diese sogar umweltverträglich anfertigen bzw. Forschungen in dieser Richtung machen.

    Ob es sinnvoller wäre, lieber in nachhaltiger Energie zu investieren, statt Pipelines nach Russland zu bauen, wage ich zu bezweifeln. Ich denke, wir sollten von dieser zu stark technokratischen Denkweise abrücken, und auch andere Wissenschaften, wie die Ökonomie oder gar die Geisteswissenschaften mit einbeziehen, wenn wir uns solche Urteile bilden. Denn neben der Klimakrise sind es auch globale Probleme, wie Inflation, Armut, Kriege und der stetige, unbändige Wettbewerb der Nationen um die Rolle des „Global Players“, die natürlich auch essentielle Fragen nach der Kaufkraftparität und der Möglichkeit der Umsetzung von Ideen aufkommen lassen. Denn was nützen uns beispielsweise Elektroautos, wenn Strom auf der Welt nach wie vor von Kohlekraftwerken produziert wird? Wollen oder können wir, wie die Menschen im Windkraft-Champion Uruguay, 20% unseres Monatseinkommens nur für Stromkosten ausgeben?

    Wahrscheinlich ist die „chinesische Lösung“ der beste Weg: man gebraucht das Wissen und die Technologien, die nun mal vorliegen: man nutzt weiterhin Erdöl, Gas und Kohle, investiert aber auch viel in den Ausbau von Solaranlagen und Windkraftwerken. Der „Weg der Mitte“, sozusagen. Denn was man bei all den Debatten, die geführt werden, nicht außer Acht lassen darf, ist, dass Persönlichkeiten wie Greta Thunberg und ihre Befürworter einen Weg vorschlagen, der weitergedacht irgendwo von dem Weg abgekehrt, den uns die antiken Mesopotamier vor tausenden Jahren vorgegeben haben. Nämlich, dass die religiös begründete Erlaubnis des Menschen, die Natur zu seinem eigenen Nutzen zu unterwerfen und auf dieser Annahme 12 Tausend Jahre menschliche Zivilisationsgeschichte beruhen, nun infrage gestellt wird. Nach einer so langen Zeit plötzlich eine Abkehr zu wagen, bedarf seiner Zeit und ist, bei allen Sorgen um unseren Planeten und um „Mutternatur“, wahrscheinlich überhaupt gar nicht so schnell möglich. Oder ist es gar gänzlich unmöglich?

  • Hinterlasse eine Antwort