„Wir haben es geschafft anzufangen, zu Ende zu denken,“ resümiert Prof. Dr. Martin Führ am Ende des Quartiergesprächs. Das klingt optimistisch, aber auch nach intensiven Gesprächen von Beginn an:
Gemeinsam mit dem Amt für Klimaschutz und Klimaanpassung der Stadt Darmstadt hatte das Team der Innovations- und Transformations-Plattform für Nachhaltige Entwicklung (itp:ne) um Prof. Martin Führ und Dr. Silke Kleihauer zu einem Quartiergespräch eingeladen: Unter der Überschrift „Wärmewende im Johannesviertel“ stand die Frage im Mittelpunkt „Wie können wir hier in der Nachbarschaft klimafreundlich und bezahlbar heizen?“ Dieser Frage ging nicht nur die jüngste Bürgerpanel-Befragung nach, sie bewegt offensichtlich auch viele Menschen im Johannesviertel, wie der große Andrang zeigte – statt der erwarteten 40 Personen, kamen 120 Gäste.
Um von Anfang an die Perspektiven der Gäste aufzunehmen, erhielten sie beim Betreten des Gemeindesaales zwei Karten (siehe Abbildung 1). Die darauf enthaltenen Fragen nach den Sorgen und Wünschen sollten ein Bild zum Status quo geben und zugleich den Blick der Teilnehmenden in Richtung eines Zukunftsbildes öffnen:
Das Organisationsteam war damit in der Lage, die aktuelle Gefühls- und Motivationslage der Gäste einzufangen und im Laufe des Quartiergesprächs gezielter auf die Sorgen und Wünsche der Gäste einzugehen.
Gemeinsam begrüßten Prof. Dr. Martin Führ und Dr. Patrick Voos, Leiter des Amts für Klimaschutz und Klimaanpassung, die etwa 120 Interessierten im Gemeindesaal. Als dann bei der Frage, wer über Eigentum verfügt, bis auf zwei Personen alle die Hand hoben, war klar: Es waren die Leute gekommen, die es in der Hand haben, Dinge zu bewegen. In seiner Einführung wies Martin Führ auf die Auftaktveranstaltung zum Thema Wärmewende in Darmstadt in der Schader-Stiftung hin: Sie fand am 16. November 2022 statt; zeitgleich verabschiedete der Hessische Landtag das neue Energiegesetz. Es verpflichtet jetzt die Stadt Darmstadt, eine Wärmeleitplanung vorzulegen. Auch kommunale Unternehmen wie die Entega müssen dazu beitragen. Die Veranstaltung in der Schader-Stiftung schaffte somit ein Momentum für die Wärmewende in Darmstadt und zeigte: Es ist an der Zeit die Dinge konkret in den einzelnen Quartieren anzugehen.
Was hat sich seit der Veranstaltung im November getan?
Zu Beginn des Quartiergesprächs gab es drei Impulsvorträge, die aufzeigten, was sich seit der Veranstaltung im November 2022 in Bezug auf die Wärmewende in Darmstadt getan hat:
- Erste Ergebnisse aus der laufenden Bürgerpanel-Befragung
Dr. Helena Müller aus dem Bürgerpanel-Team der Hochschule Darmstadt stellte erste Ergebnisse aus der zu diesem Zeitpunkt noch laufenden Bürgerpanel-Befragung vor: Ziel der Umfrage war es herauszufinden, wie die Menschen in Darmstadt und Umgebung zu neuen Wegen der Wärmeversorgung stehen und was vor Ort möglich ist.
Zu diesem Zeitpunkt stand die Hälfte der 688 Befragten (Stand: 22.03.) einer Wärmeversorgung durch ein Wärmenetz grundsätzlich positiv gegenüber, wobei das Interesse an einem Nahwärmenetz gegenüber einem Fernwärmenetz überwog. Außerdem waren Einige bereit, unterschiedliche Wärmequellen oder Potenziale zur gemeinschaftlichen Nutzung einzubringen, wie z.B. Dachflächen für Solarenergie (86 Nennungen), Flächen für Erdsonden (67 Nennungen) oder Räume für Pufferspeicher (36 Nennungen). Eine Auswertung der Gesamtergebnisse wird voraussichtlich Mitte Mai 2023 auf der Bürgerpanel-Webseite veröffentlicht. - Kommunale Wärmeplanung
Dr. Patrick Voos stellte danach den aktuellen Stand der kommunalen Wärmeplanung vor: Das Vergabeverfahrung läuft wie geplant seit Anfang des Jahres 2023 und es liegen bereits 14 hochwertige, vielversprechende Angebote für die Umsetzung der Wärmeleitplanung von Ingenieurbüros vor. - Abwärmenutzung im Quartier (Beispiele DARZ und Wasenberg)
Danach präsentierte Harald Meyer, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Darmstadt im Projekt „Interaktive Nahwärmenetze“, seine Abschätzung zu einer konkreten Möglichkeit, die dazu beitragen kann, im Johannesviertel klimafreundlich zu heizen: Der Geschäftsführer des Darmstädter Rechenzentrums (DARZ), Jürgen Henzler, der an diesem Abend ebenfalls zu Gast war, will die Abwärme des Rechenzentrums zum Heizen für umliegende Gebäude bereitstellen. Harald Meyer stellte erste Berechnungen an, wie viele Gebäude das DARZ mit Wärme versorgen kann, wenn man dieses Potential nutzt. Wie man mit einer Energiegenossenschaft ein lokales Wärmenetz aufbauen und wirtschaftlich betreiben kann, erläuterte er am Beispiel der nordhessischen Gemeinde Wasenberg, die seit 2015 unabhängig vom globalen Energiemarkt sind und jährlich 1,2 Millionen Liter Heizöl einsparen.
Nach den Impulsvorträgen konnten die Anwesenden nun gezielt mit den relevanten Akteuren aus dem Projekt bzw. den Themenpaten ins Gespräch kommen. Die Themen an den Tischen ergaben sich aus den Rückmeldungen der eingangs verteilten Karten. Die Themenpaten fassten abschließend jeweils kurz die Ergebnisse der Diskussionsrunden zusammen und es gab nochmal die Möglichkeit, im Plenum Fragen und Anregungen zu klären.
Thementisch Genossenschaft – Prof. Martin Führ
Da kann man Sachen machen, die man alleine nicht machen kann
war eine wichtige Erkenntnis aus dieser Runde. Teure Investitionen wie Bohrungen für Erdsonden lassen sich z.B. im Zweifelsfall nur gemeinsam stemmen. Außerdem „kann man die Dinge in den eigenen Händen halten, auch die Preispolitik“. So sahen einige die Vorteile des Modells der Genossenschaft, das an anderer Stelle bereits seit Jahren erfolgreich funktioniert, wie z.B. bei der Energiegenossenschaft Wasenberg seit 2013.
Thementisch Fernwärme – Harald Meyer, Teresa Novotny und Vertreter der Entega AG
Ein Anschluss an das bereits bestehende Fernwärmenetz der Entega ist besonders für ein dicht bebautes Bestandsquartier wie das Johannesviertel eine sinnvolle Alternative, da im Viertel bereits eine Fernwärmetrasse existiert: Der Andrang an diesem Thementisch war groß. Viele wollten wissen, wie lange der Anschluss an das Fernwärmenetz dauert und was das kosten würde. Viele Eigentümer befinden sich in der Situation ihr Heizsystem altersbedingt erneuern zu müssen und viele sehen die Fernwärme für ihre Gebäude als einzigen Ausweg.
Wie lange müssten wir unsere alte Heizung noch am Leben erhalten, bis die Fernwärme kommt?
Lautete eine Frage in die Runde. Viele Eigentümer wünschten sich demnach einen verlässlichen Zeitplan und konkrete Aussagen zu Kosten.
Thementisch Abwärmenutzung DARZ – Jürgen Henzler, Geschäftsführer des DARZ, Dr. Silke Kleihauer
Jürgen Henzler stellte sich den Fragen der Interessierten: Auf die Aussage, das DARZ könne ja „gerade einmal 100 Einfamilienhäuser“ mit Abwärme versorgen, entgegnet ein Anderer, dass jedes Potential genutzt werden müsse. Und was ist denn die Alternative: Die Abwärme wird einfach in die Luft geblasen, und heizt die Stadt damit zusätzlich auf – auch im Sommer.
Am Ende konnten Anwohner rund um das DARZ, die konkret an einem Wärmenetz interessiert sind, ihre Kontaktdaten auf einer Liste hinterlassen. Außerdem sind im Zuge der Vorbereitung dieses Quartiergesprächs die Entega und das DARZ bereits in Kontakt getreten, um die technischen Randbedingungen zu klären.
Thementisch Kommunale Wärmeplanung – Dr. Patrick Voos, Julia Vogelsang, Oliver Kah & Kolleg*innen
Die kommunale Wärmeplanung steht noch am Anfang und soll bis Ende 2024 fertig sein. Die Grundlagenerhebung und die Potentialermittlung wird Zeit in Anspruch nehmen. Das Ziel ist aber, parallel dazu einzelne Quartiere schwerpunktmäßig zu betrachten und dabei fortlaufend die Öffentlichkeit zu informieren. Unabhängig von der zukünftigen, klimafreundlichen Energiequelle gilt: Die Effizienz ist zwingend zu erhöhen wo immer es möglich ist. Das hilft in jedem Fall, eine klimafreundliche Wärmeversorgung umzusetzen. Denn es lassen sich mit dem gleichen Energieeinsatz mehr Gebäude versorgen, wenn sie saniert sind.
In Bezug auf den Ensembleschutz gibt es neue Durchführungsbestimmungen. Herr Voos bat daher alle diejenigen, die bereits vor einiger Zeit einen Antrag gestellt hatten, erneut Anfragen für Photovoltaik-Anlagen oder Solarpaneele einzureichen. Das Denkmalamt dürfte unter den neuen Randbedingungen meist zu einer positiven Entscheidung kommen.
„Wir nehmen diese Botschaft mit“
Es fand ein reger Austausch statt und während der gesamten Veranstaltung wurde deutlich, dass ein großer Veränderungswille da ist. Nur das Wissen über das „Wie“ fehlt in vielen Fällen.
Zum Ende hin gab es noch eine Bitte aus dem Publikum: Die Stadt solle doch der Entega den Auftrag geben, das Johannesviertel als Pilotquartier für eine klimafreundliche Wärmeversorgung zu nutzen. Parallel zur kommunalen Wärmeplanung soll die Entega eine Quartiersplanung für das Johannesviertel machen. Natürlich konnte Herr Voos dazu keine verbindlichen Aussagen treffen, aber er versicherte, diese Botschaft mitzunehmen.
Das zeigte einmal mehr den wertvollen Charakter des Quartiergesprächs: Es war möglich, sich direkt mit relevanten Akteuren auszutauschen, die eigenen Gedanken zu äußern, einander zuzuhören sowie gemeinsam Lösungen zu finden und die nächsten Schritte zu vereinbaren.
Das Quartiergespräch im Johannesviertel war ein Auftakt, um motivierte Menschen mit den gleichen Sorgen und Interessen aus einem Quartier zusammenzubringen. Es eröffnet die Chance, Allianzen zu bilden um Lösungen für die Wärmewende voranzutreiben. Das Organisationsteam ist vielen interessierten, motivierten und veränderungswilligen Bürgerinnen und Bürgern begegnet, die gemeinsam in ihrem Quartier etwas bewegen können.
„Wir haben es also geschafft anzufangen, zu Ende zu denken,“ fasst Prof. Dr. Martin Führ fasst den Abend zusammen. Denn am Anfang steht das Gespräch.
Autorin: Anna Zeitler (Studentische Hilfskraft im Projekt „Interaktive Nahwärmenetze“)
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